Unterschungen Über das absolute Gehör.

Originally published in Archiv für die Gesamte Psychologie, 73, 1-128, 1929.

Lothar Weinert, Hamburg

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Kurzer Überblick über die einschlägige Literatur
2. Ziel und Aufgabe der vorliegenden Arbeit

Erster Abschnitt: Die experimentelle Untersuchung

I. Kap. Die Versuchsanordnung

1. Der Kreis der Versuchspersonen und seine Zusammensetzung nach Geschlecht, Alter, Beruf und musikalischer Bildung
2. Zeit und Ort der Versuche
3. Bestimmung von Klaviertönen
4. Bestimmung von Geigentönen
5. Angabe von Tönen durch Singen oder Pfeifen

II. Kap. Individuell verschiedene Verhaltungsweisen bei der Tonbestimmung

1. Psychische Einstellung bei der Auffassung der zu bestimmenden Töne
2. Tonvorstellung, Noten-, Buchstaben- und Tastenbild
3. Beziehungslose Bestimmung
4. Intervallmäßige Beziehungen zu gehörten und zu vorgestellten Tönen
5. Akkordbildungen
6. Transposition in eine mittlere Oktavlage
7. Vergewisserung durch Singen und Pfeifen
8. Zwei- und dreimaliges Anschlagen der Tasten

a) bei Unsicherheit der Tonbestimmung
b) bei Vergessen des Tones

9. Assoziationen zwischen einzelnen Tönen und akustischen Vorstellungs komplexen
10. Gewißheitsgrade der Tonbestimmung

III. Kap. Die Fehler

1. Zahl der Fehler und ihre Verteilung

a) auf die einzelnen Personen
b) auf die einzelnen Versuchsreihen
c) auf die einzelnen Oktaven
d) auf die einzelnen Töne

2. Art der Fehler

A) bezügl. der Intervalle: 1. Halbton-, 2. Ganzton-, 3. Terz-, 4. Quart-, 5. Quintfehler
B) bezügl. der Wiederkehr ihres Auftretens

1. singuläre
2. perseverierende: a) in geschlossener Fehlerfolge; b) in unterbrochener Fehlerfolge; c) in gemischter Fehlerfolge
3. konstante Fehler und Fehlergruppen

C) bezügl. der Anzahl und zeitlichen Folge der Tonurteile: 1. unitonale, 2. bitonale, 3. tritonale Einzelfehler und 1. unitonale, 2. bitonale,
3. tritonale, 4. tetratonale Fehlergruppen

D) bezügl. ihrer Stellung

1. Isolierte Fehler
2. Gruppenfehler

a) innerhalb ein und derselben Oktave: aa) chromatische Fehlergruppen; bb) homogene Fehlergruppen; cc) heterogene Fehlergruppen
b) innerhalb mehrerer Oktaven: aa) homogene Fehlergruppen; bb) heterogene Fehlergruppen

3. Fehlerkorrekturen

a) Nicht korrigierte Fehler und Intervallgehör
b) Spontane Fehlerkorrekturen: aa) durch zwangsläufige Bildung von Intervallbeziehungen; bb) durch erneute absolute Bestimmung
c) Reaktive Fehlerkorrekturen

IV. Kap. Ausfallerscheinungen

1. Das Gefühl bei nicht bestimmbaren Tönen
2. Ursachen der Nichtbestimmbarkeit
3. Die Lage nicht bestimmbarer Töne
4. Allgemein gültige Regeln

V. Kap. Die Reaktionszeiten

1. Ihre verschiedene Dauer

a) bei den einzelnen Personen
b) bei den einzelnen Versuchsreihen
c) bei den einzelnen Oktaven
d) bei den einzelnen Tönen

2. Kombinierte Tonrangreihen, gebildet aus Fehlerzahlen und Reaktions
zeiten

VI. Kap. Die Sonderfälle

1. Der Fall Ocke Nerong und Robert Sager (Doppelstimmung)
2. Der Fall Otto Lindenberg (Gehörsumstimmung)
3. Der Fall Rainer Mulzer (Das absolute Gehör im Entwicklungsstadium)

VII. Kap. Angabe von gewünschten Tönen durch Singen oder Pfeifen

VIII. Kap. Typen des absoluten Gehörs

1. Der unipolare und der bipolare Typ
2. Die Typen nach Géza Révész und A. Wellek

Zusammenfassung der wichtigsten, allgemeingültigen Ergebnisse.

Zweiter Abschnitt: Der Fragebogen

1. Beobachtungen über Auftreten und Entwicklung des absoluten Gehörs
2. Vererbung des absoluten Gehörs
3. Erwerb des absoluten Gehörs durch Übung
4. Häufigkeit des absoluten Gehörs und seine Verteilung auf die Geschlechter
5. Absolutes Gehör und Transposition
6. Korrelationen des absoluten Gehörs zu einzelnen Komponenten der Musikalität

a) Musikalisches Gedächtnis
b) Musikalische Produktivität

7. Absolutes Gehör und musikalisches Erleben
8. Absolutes Gehör und Synopsien
9. Zur Frage der Bedeutung des absoluten Gehörs für die Gesamtpersönlichkeit

Anhang

I. Zusammenstellung der bisher erschienenen Literatur
II. Fehlerkurven

a) Chromatische Folge
b) Quintenfolge

III. Abdruck des benutzten Fragebogens


Abkürzungen

a. G. = absolutes Gehör
Beisp. R. = Beispielreihe
F. = Fehler
FGr. = Fehlergruppe
O. = Oktave
SCO. = Sub-Contra-Oktave
CO. = Contra-Oktave
Gr. O. = Große Oktave
Kl. O. = Kleine Oktave
'O. = eingestrichene Oktave
''O. = zweigestrichene Oktave
'''O. = dreigestrichene Oktave
''''O. = viergestrichene Oktave
Pr. = Protokoll
RT. = Reizton
RZ. = Reaktionszeit
Vp. = Versuchsperson
Vr. = Versuchsreihe

Anmerkung

1. Die Pr. sind mit römischen Zahlen in der Reihenfolge der auf Seite 11 und 12 gegebenen Zusammenstellung der Vpn. bezeichnet. Die arabischen Ziffern dahinter geben die Nummer der Vr. an (z. B. IX, 4).

2. Die im Text in Klammern gesetzten Nummern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis S. 115 und 116 (z. B. Nr. 10).


Einleitung

Die Anregung zur vorliegenden Untersuchung erhielt ich von Herrn Prof. Dr. G. Anschütz (Hamburg). Auf ihn geht auch die ihr zugrunde liegende Versuchsanordnung zurück. Ihm sei sowohl für die Hinweise, als auch für die große Liebenswürdigkeit, mit der er mir während der Arbeit, oft unter Aufwand erheblicher Zeitopfer, stets bereitwilligst mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat, mein verbindlichster Dank ausgesprochen.

Die Gabe des a. G., also die Fähigkeit, die in der musikalischen Praxis angewandten Töne nicht nur ohne Gebrauch von mechanischen Hilfsmitteln, wie etwa Stimmgabel oder Stimmpfeife, sondern auch unter völligem Verzicht auf die Feststellung intervallmäßiger Beziehungen zu sonst irgendwie bekannten Tönen, richtig zu bestimmen, umschließt einen Fragenkomplex, dem die psychologisch orientierte Musikwissenschaft erst seit den 80er Jahren des verflossenen Jahrhunderts ihre Aufmerksamkeit zugewandt hat. Es ist dies einigermaßen verwunderlich, da die bezeichnete Begabung, einmal wegen der Seltenheit ihres Auftretens und zum andern wegen der für die nicht mit diesem Naturgeschenk bedachten Menschen recht rätselhaften und selbst durch anstrengendste Übung nicht oder doch kaum erreichbaren Leistungen, viel früher die Beachtung der musikalischen Fachund Laienkreise auf sich gelenkt hat. Es sei hier nur auf die Anekdote hingewiesen, die der Hofkomponist Schachtner von dem 7 jährigen Mozart berichtet. "Sie wissen sich zu erinnern, daß ich eine sehr gute Geige habe, die weiland Wolfganger1 wegen ihrem sanften und vollen Ton immer Buttergeige nannte. Einmal geigte er darauf und konnte meine Geige nicht genug loben; nach ein oder zwei Tagen kam ich wieder, ihn zu besuchen und traf ihn, als er sich eben mit seiner eigenen Geige unterhielt Endlich dachte er ein bißchen nach und sagte: ,Herr Schachtner, Ihre Geige ist um einen halben Viertelton tiefer gestimmt als meine da; wenn Sie sie doch so gestimmt ließen, wie sie war, als ich das letzte Mal darauf spielte.' Ich lachte darüber; aber Papa, der das außerordentliche Tongefühl und Gedächtnis des Kindes kannte, bat mich, meine Geige zu holen und zu sehen, ob er recht hätte. Ich tat's, und richtig war's." (G. Jahn, W. A. Mozart. 1. Auflage, 1856. 1. Bd. S. 195.)

Trotzdem man Beobachtungen ähnlicher Art auch bei andern bedeutenden Musikern gemacht hat, hat sich doch bis auf die angegebene Zeit niemand gefunden, der die seltene Gabe der absoluten Tonerkennung einer genaueren Untersuchung für wert gehalten hätte. Vielleicht ist daran die Tatsache schuld, daß bis zur Wiener Stimmtonkonferenz 1885, die die Einigung fast aller Kulturstaaten auf den Normalton a' = 435 Doppelschwingungen brachte, hinsichtlich der Stimmung, sowohl innerhalb der einzelnen Länder als auch-- ja erst recht-- bei den Ländern untereinander, eine wahre Anarchie herrschte. Hat doch der englische Akustiker Alexander J. Ellis, der sich der Mühe unterzog, den einzelnen Stimmungen, die zu den verschiedensten Zeiten in den Kulturstaaten Europas üblich waren, nachzugehen, über 320 Tonhöhen für die Zeit von 1361-1880 festgestellt. (A. J. Ellis, "On the history of musical pitch", 1880.)

1. Kurzer Überblick über die einschlägige Literatur

Im folgenden sei in chronologischer Anordnung ein kurzer Überblick über die Schriften gegeben, die sich mit der Frage des a. G. beschäftigen. Es finden an dieser Stelle jedoch nur die Arbeiten Berücksichtigung, die auf eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen beruhen, oder die das Problem in ein neues Licht zu rücken versuchen. Die übrigen Arbeiten, die zum Teil polemischen Charakter haben, mögen herangezogen werden, wenn die Behandlung des Themas im Verlauf der Arbeit Gelegenheit dazu bietet. Vgl. das im Anhang gegebene Literaturverzeichnis!

Von den verschiedenen Bezeichnungen, die für die Fähigkeit der absoluten Tonbestimmung angewandt werden, wie absolutes Gehör, absolutes Tongedächtnis, Dauergedächtnis für absolute Tonhöhen, absolutes Tonbewußtsein, absolutes Tongefühl usw., die alle mehr oder weniger gebräuchlich sind, hat der Ausdruck "absolutes Gehör" wohl seiner Kürze wegen die größte Verbreitung gefunden. Er sei aus diesem mehr praktischen Grunde auch hier beibehalten.

Die erste wissenschaftliche Untersuchung des a. G. stammt von G. Stumpf (Nr. 23). Im 1. Band seiner 1883 erschienenen "Tonpsychologie" berichtet er über Versuche, die er an sich selbst, dem berühmten Cellovirtuosen Popper, dem Contrabassisten Prof. S1adek und Herrn Dr. Schenkel-- im ganzen also an vier Personen-- angestellt hat. Als Versuchsinstrument wurde das Klavier, und zwar in der Regel das eigene des Urteilenden, benutzt. Die Aufgabe bestand darin, angeschlagene Klaviertöne dem Namen nach zu bestimmen. Die Vr. verzeichnen die Anzahl der richtigen und falschen Urteile. Außerdem werden Beobachtungen über allgemeine und individuelle Verhaltungsweisen der Vp. mitgeteilt.

Die nächste Arbeit lieferte v. Kries unter der Überschrift "Das absolute Gehör" im Jahre 1892 in der "Zeitschrift für Psychologie" Bd. 3 (Nr. 12). Sie bietet in der Hauptsache Erfahrungen und Beobachtungen, die v. Kries an sich selbst gemacht hat. Zum erstenmal wird m. W.. darauf hingewiesen, daß mit der Fähigeit, gehörte Töne richtig zu bestimmen, nicht immer diejenige, mit Namen bezeichnete Töne durch Singen oder Pfeifen richtig anzugeben, verbunden zu sein braucht. Ferner wird die Frage ziemlich eingehend erörtert, ob das a. G. durch besonders darauf gerichtete Übungen erworben werden kann. Die von demselben Verfasser im Jahre 1926 herausgegebene Schrift "Wer ist musikalisch?" bietet hinsichtlich des a. G. nichts wesentlich Neues, v. Kries spricht darin sein Bedauern aus, daß bisher wenig genaue Untersuchungen über die zweifellos vorhandenen graduellen Abstufungen dieser Befähigung vorliegen.

Die weitaus eingehendste und umfassendste Publikation verdanken wir Otto Abraham. Sie erschien unter dem Titel "Das absolute Tonbewußtsein"-- eine psychologisch-musikalische Studie-- im Jahre 1901 (Nr. 1). Hinsichtlich ihrer Ausführlichkeit und Vielseitigkeit ist die Arbeit bis heute an der Spitze des gesamten Schrifttums über das a. G. geblieben. Als Besitzer eines ausgezeichneten a. G. stützt Abraham seine Untersuchungen auf ein Material, das er, unter der Mithilfe Gierings, einerseits aus Versuchen und Beobachtungen an sich selbst und andererseits aus der recht umfangreichen Anwendung der sog. Fragebogenmethode gewonnen hat.

Es sei hier nur auf die Versuche hingewiesen. Sie bestanden in der Bestimmung von Tönen des erheblichen Tongebietes von Dis2 bis d6. Zur Erzeugung der Töne in der tiefen Region bediente sich Abraham der Edelmann schen Stimmgabeln, für die der Höhenregion kleiner, mittels Blasebalges angetriebener Orgelpfeifen. Eine Tabelle gibt in auf fünf Einheiten abgerundeten Zahlen Aufschluß über die prozentuale Verteilung der richtigen und falschen Fälle.

Erwähnt sei, daß Abraham mit seinen in den letzten Kapiteln vertretenen Ansichten über den Wert des a. G. in musikalischer Beziehung, ferner über den Gegensatz eines absoluten und relativen Kompositionstypus den Widerspruch Felix Auerbachs (Nr. 4) herausforderte. Ein paar allerdings recht merkwürdig anmutende Sätze Abrahams, den letzten Punkt betreffend, mögen hier angeführt sein. "Je kleiner die Gedächtniskomplexe sind, welche verschieden geordnet werden sollen, um so origineller ist der Komponist,... Das kleinste Gedächtnisbild ist aber in der Musik für den nur mit Intervallsinn begabten Komponisten das Intervall, für den nach absoluten Höhen urteilenden Musiker der einzelne Ton. Da nun zu einem Intervall stets zwei Töne gehören, so sind für den nach Intervallen Urteilenden, wenigstens in der Harmonie, engere Grenzen gezogen als für den mit absolutem Tonbewußtsein begabten Musiker, der frei schalten kann über alle Harmonien, allein gehalten durch die konventionellen Gesetze der Theorie, die für alle gelten. Mithin wäre letzterer der originellere Komponist." (Nr. 1, S. 75.) Daß diese atomisierende Auffassung Abrahams dem Wesen des kompositorischen Schöpfungsaktes nicht gerecht wird, dürfte wohl kaum bezweifelt werden. Der Wert der Abraham schen Studie wird dadurch keineswegs eingeschränkt.

Es sei an dieser Stelle auch drei amerikanischer Arbeiten gedacht.

Max Meyer berichtet in der "Psychological Review" Vol. VI, 1899 (Nr. 15) über Experimente, die er mit sich und Victor Heyfelder gemacht hat, um die Entwicklung des a. G. durch Übung zu studieren. Er gebrauchte dazu Stimmgabeln und auch das Klavier. Die Töne wurden jedoch nicht mit ihrem musikalischen Namen, sondern durch ihre Schwingungszahlen (vibration-rates) bezeichnet, zu welchem Zwecke die Vpn. eine Tafel dieser Schwingungszahlen vor sich liegen hatten. Sehr ermutigend scheinen die Erperimente nicht gewesen zu sein. "We did not continue those experiments further, because the value of the acquired facility did not seem to us to correspond to the expense of time."

Angeregt durch die Arbeiten Stumpfs und Abrahams führte Guy Whipple eine Untersuchung des a. G. an Miss M. C. Meyer, weiland Studentin der Cornell University, durch, über die er im "American Journal of Psychology" Vol. XIV (Nr. 28) Bericht erstattet. Die richtigen und falschen Urteile werden lediglich gezählt. Zu neuen Einsichten führte die Untersuchung nicht.

Die dritte Arbeit stammt von Pearl Boggs. Sie nahm an vier Personen mit a. G. eine Anzahl Testversuche vor, deren Resultate sie im "American Journal of Psychology" Vol. XIV 1907 unter der Überschrift "Studies in Absolute Pitch" veröffentlichte. (Nr. 6.) In einer kleinen Tabelle gibt sie eine Übersicht über die prozentuale Häufigkeit der richtigen Fälle. Es werden dann noch einige Beobachtungen über Erblichkeit und Erlernbarkeit des a. G., über das Heraushören von Obertönen usw. mitgeteilt. Wesentlich Neues bietet auch diese Studie nicht.

Ausgehend von der Ansicht, daß jedem Tone außer seiner Intensität und Klangfarbe zwei voneinander unabhängige musikalische Eigenschaften zukommen, nämlich 1. die Qualität, d. h. das in der Oktavähnlichkeit zum Ausdruck kommende Moment, und 2. die Höhe (im engeren Sinne-- von Brentano Hellig
keit genannt), d. h. die bei der Erscheinung des Steigens und Sinkens hervortretende Eigenschaft, stellt Géza Révész in seinem Aufsatz "Über die beiden Arten des absoluten Gehörs" vom Jahre 1913 (Nr. 19) und in seiner in demselben Jahre erschienenen "Grundlegung der Tonpsychologie" (Nr. 20) die Behauptung auf, daß es zwei Typen des a. G. gebe. "Wie erklärt es sich nun, daß ein mit a. G. ausgestatteter Mensch bestimmte Töne richtig, andere annähernd richtig und wieder andere schon mit großer Ungenauigkeit beurteilt?... Der nächstliegende Gedanke ist der, daß die Verschiedenheit der Urteile auf einer Verschiedenheit des Urteilskriteriums beruhen möchte, also darauf, daß sich der Beobachter im einen Falle auf andere Merkmale seiner Tonempfindung stützt als im anderen. Ich behaupte nun, daß sich diese Tonurteile tatsächlich auf zwei Urteilskriterien gründen und daß man nach diesen zwei Kriterien zwei Arten von a. G. unterscheiden muß Ich unterscheide dem nach... Tonqualitätenerkennung und Tonhöhenerkennung." (Nr. 19 S. 132/33.) Gegen diese Scheidung wandte sich Hugo Riemann in seinem Aufsatz "Tonhöhenbewußtsein und Intervallsinn" (Nr. 21). Er schreibt: "Nein, Révész' ,Qualität' ist nicht eine von der Tonhöhe unabhängige Eigenschaft."
(Nr. 21, S. 272.) Danach hat es für Riemann auch keinen Sinn, aus der Scheidung der Toneigenschaft in Qualität und Tonhöhe zwei Typen des a. G. herzuleiten.

In diesem Zusammenhang sei-- entgegen der Chronologie-- darauf hingewiesen, daß A. We1lek in den Monatsblättern des Anbruchs 1927 (Nr. 26) drei Typen des a. G. unterscheidet, nämlich 1. das Tonhöhengehör, 2. das Tonqualitätengehör, 3. das Tonfarbengehör.

Die Typenfrage ist von solchem Gewicht, daß sie, da es sich an dieser Stelle nur um einen knappen Überblick über das vorhandene Schrifttum handelt, im VIII. Kapitel einer eingehenden Besprechung unterzogen wird.

Die im Jahre 1920 im "Archiv für Musikwissenschaft" unter dem Titel "Das Dauergedächtnis für absolute Tonhöhen" veröffentlichte Studie von Johannes Kobelt ist die letzte einschlägige Arbeit von Bedeutung (Nr. 11). Die Bezeichnung "Dauergedächtnis für absolute Tonhöhen" entspricht nach Kobelt am genauesten der in Rede stehenden Fähigkeit. Leider ist sie ihrer unbequemen Länge wegen nicht geeignet, den gebräuchlichsten Ausdruck "absolutes Gehör" zu ersetzen. Verdienstvoll ist die Arbeit besonders deswegen, weil Kobelt unter entwicklungsgeschichtlichem Gesichtswinkel mehrere Vr. in größeren Zeitabständen-- z. T. bis zu 6 Jahren-- von drei Kindern mit a. G. aufgenommen hat, aus denen der Fortschritt der Gehörsentwicklung ersichtlich ist. Zur Beurteilung wurden Einzeltöne, Harmonien und Tonarten geboten. Drei kleine Tabellen geben Aufschluß über die Zahl der richtigen und falschen Urteile. Die Studie bringt außerdem einiges recht interessante Tatsachenmaterial dafür, daß das Gedächtnis für Tonarten und Harmonien durchaus nicht immer das für die absolute Höhe von Einzeltönen mit einzuschließen braucht. Er berichtet beispielsweise: "Mein ältester Bruder ist über die absolute Höhe gehörter Harmonien selten, über die von Tonarten nie im Zweifel. Sein Gedächtnis für absolute Tonhöhen ist trotz vieler Versuche nur ein partielles geblieben." (Nr. 11, S. 166.) Besondere Beachtung verdient auch die Mitteilung von Kindheitserinnerungen, die sich auf die Anfänge in der Entwicklung des a. G. bei Kobelt selber und bei zwei weiteren Personen beziehen.

2. Ziel und Aufgabe der vorliegenden Arbeit

So wertvoll die angeführten Arbeiten über das a. G. im einzelnen auch sind, so läßt sich doch zusammenfassend von allen in Kürze folgendes sagen:

1. Sie stützen sich auf einen zu kleinen Kreis von Vpn. Dieser Mangel verhindert einerseits die Auffindung allgemeingültiger Regeln und andererseits die Aufdeckung der individuellen Unterschiede und graduellen Abweichungen der in Frage stehenden Begabung.

2. Sie begnügen sich mit einer zu geringen Zahl von Tonurteilen; insbesondere berücksichtigen sie nicht, daß ein und dieselbe Vr. mehrmals wiederholt werden muß, um einen Einblick in den Grad der Zuverlässigkeit der Tonerkennung zu gewinnen. Ist es doch keineswegs selbstverständlich, daß ein Ton, der einmal richtig bezeichnet worden ist, nun auch ein für allemal zutreffend beurteilt werden wird.

3. Sie widmen den Fehlern nicht genügend Aufmerksamkeit. Wohl werden die Fehler gezählt, aber über ihre genaue Lage, ihre Verteilung auf die einzelnen Oktaven und Töne, ihre Festigkeit, ihre Arten betr. ihrer Größe, Stellung, Häufigkeit usw. geben die Vr. und Tabellen dieser Arbeiten keinerlei Aufschluß.

4. Sie bleiben die Antwort auf die Frage nach den spontanen und reaktiven Fehlerkorrekturen schuldig.

5. Sie berücksichtigen nicht die Ausfallerscheinungen.

6. Sie unterlassen die Messung der RZ. und übersehen infolgedessen die damit zusammenhängenden Probleme, also beispielsweise das des Zusammenhanges zwischen den RZ. und der Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Urteile.

7. Sie betonen zum Teil gar nicht, zum Teil nicht mit der erforderlichen Schärfe den wesentlichen Unterschied, der zwischen der Fähigkeit zur Erkennung und Benennung gehörter Töne und derjenigen zur Angabe gewünschter, also nur mit dem Notennamen bezeichneter Töne durch Singen oder Pfeifen besteht.
Mit dieser Aufzählung der wichtigsten Einwände gegen die besprochenen Schriften sind Richtung und Ziel der vorliegenden Arbeit im allgemeinen bereits umrissen. Sie wird-- namentlich in ihrem experimentellen Teil, wo auf die Gewinnung eines umfangreichen, exakten Tatsachenmaterials besonderer Wert gelegt worden ist-- die Gesichtspunkte in den Vordergrund treten lassen, die für die obige Zusammenstellung der Einwände maßgebend gewesen sind. Ihr zweiter Teil, der die Erörterung des a. G. im Hinblick auf mehr allgemein gehaltene Fragen bringt, verarbeitet ein Material, das unter Anwendung der Fragebogenmethode zusammengetragen wurde.

Erster Abschnitt - Die experimentelle Untersuchung

I. Kapitel Die Versuchsanordnung

1. Der Kreis der Vpn.

Zur Untersuchung wurden nach kurzen Vorproben nur solche Personen herangezogen, die das a. G. in dem Umfange besitzen, daß sie die große Mehrzahl der in der musikalischen Praxis verwandten Töne beziehungslos zu bestimmen vermögen. In diesem Sinne wird der Ausdruck "a. G." ja auch in Musikerkreisen allgemein gebraucht. Ich möchte diese Fähigkeit das totale a. G. nennen, wobei es wohl kaum nötig ist, darauf hinzuweisen, daß das Wort "total" cum grano salis verstanden werden muß. An Personen, die im Besitze des partiellen a. G. sind, die also das a oder c oder sonst einen oder nur wenige Töne richtig anzugeben und von diesen festen Punkten aus sich im Tongebiet intervallmäßig zurechtzufinden vermögen, sind m. W. umfangreichere Versuche mit wissenschaftlichen Absichten überhaupt noch nicht vorgenommen worden.

Für die Gehörsuntersuchung hatten sich mir folgende Damen und Herren in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt:

1. Frl. Resi Beyer, z. Zt. der Unters. 19 Jahre alt, Pianistin, Hamburg;
2. Herr Arthur Burmeister, z. Zt. der Unters. 35 Jahre alt, Pianist, Altena;
3. Frl. Mieze Flügge, z. Zt. der Unters. 20 Jahre alt, Klavierlehrerin, Harburg;
4. Herr Hugo Hampf, z. Zt. der Unters. 48 Jahre alt, Kapellmeister, Hamburg-Rahlstedt;
5. Frl. Irmgard Hansen, z. Zt. der Unters. 18 Jahre alt, Musikschülerin, Hamburg;
6. Herr Franz Härtung, z. Zt. der Unters. 28 Jahre alt, Klavierstimmer, Hamburg;
7. Herr Hans Kagel, z. Zt. der Unters. 45 Jahre alt, Konzertsänger, Hamburg;
8. Frl. Margot Keller, z. Zt. der Unters. 19 Jahre alt, Musikschülerin, Hamburg;
9. Frl. Lotte Knaack, z. Zt. der Unters. 29 Jahre alt, Musiklehrerin, Hamburg;
10. Frau Änne Krey, z. Zt. der Unters. 32 Jahre alt, Sängerin, Hamburg;
11. Herr Otto Lindenberg, z. Zt. der Unters. 64 Jahre alt, Musikdirektor, Hamburg;
12. Herr Richard Möller, z. Zt. der Unters. 56 Jahre alt, Pianohändler, Hamburg;
13. Frl. Alice Moor, z. Zt. der Unters. 39 Jahre alt, Musiklehrerin, Hamburg;
14. Rainer Mulzer, z. Zt. der Unters. 10 Jahre alt, Schüler, Hamburg;
15. Herr Theodor Mumm, z. Zt. der Unters. 19 Jahre alt, Musikschüler, Hamburg;
16. Herr Ocke Nerong, z. Zt. der Unters. 14 Jahre alt, Gymnasiast, Hamburg-Bergedorf;
17. Frau Maria Pos-Carloforti, Konzertsängerin, Hamburg;
18. Frl. Annemarie Runge, z. Zt. der Unters. 18 Jahre alt, Musikschülerin, Hamburg;
19. Herr Robert Sager, z. Zt. der Unters. 17 Jahre alt, Musikschüler, Hamburg-Bergedorf;
20. Frl. Gretchen Stein, z. Zt. der Unters. 28 Jahre alt, Pianistin, Hamburg;
21. Frau Trudel Stein, z. Zt. der Unters. 21 Jahre alt, Musikschülerin, Hamburg;
22. Frau Edith Weiß-Mann, z. Zt. der Unters. 42 Jahre alt, Pianistin u. Referentin, Hamburg.

Ihnen allen sei auch an dieser Stelle für das Opfer an Zeit, das sie mir gebracht haben, mein verbindlichster Dank ausgesprochen.

Wie ersichtlich, handelt es sich um 22 Vpn,, wovon 10 dem männlichen und 12 dem weiblichen Geschlechte angehören. Unter den Herren befinden sich drei Blinde, und zwar Herr Burmeister und Herr Hartung, die von Geburt an blind sind, und Herr Kage1, der im Alter von 12 Jahren infolge Erkrankung an Typhus erblindete.

Bemerkt sei, daß die Zusammensetzung der Versuchsgruppe nicht etwa nach bestimmten Gesichtspunkten erfolgte. Sie ist . eine rein zufällige. (Vgl. Abschnitt II Kap. I, 4.)

Das Alter der Vpn. schwankt von 10 bis zu 64 Jahren. Die Mehrzahl der Vpn. befindet sich im mittleren Alter.

Im öffentlichen Musikleben betätigen sich 8 Vpn, Die als Musikschüler bezeichneten Vpn. besuchen bekannte Hamburger Musikinstitute (Vogtsches Konservatorium, Krüß-Färbersches Konservatorium, Herrmannsche Klavier-Akademie). Bis auf den Knaben Rainer Mulzer, der nur Geige spielt, haben sämtliche Vpn. eine Ausbildung im Klavierspiel genossen. Genauere Angaben über ein weitergehendes Musikstudium einzelner Vpn. mögen im Zusammenhang mit Fragen, die dazu Veranlassung bieten, gemacht werden.

2. Zeit und Ort der Versuche

Die Versuche fanden statt in der Zeit vom 2. Januar 1928 bis 7. April desselben Jahres. Sie beanspruchten für jede Vp. durchschnittlich 2-3 Stunden, je nach der Länge der RZ. Wenn angängig, wurden sie ohne nennenswerte Unterbrechung an einem Tage durchgeführt. In der Mehrzahl der Fälle erwies sich jedoch eine Verteilung der Vr. auf zwei, ja auf drei Tage als notwendig, teils wegen Zeitmangels der Vp., teils auch, um den Einfluß verschiedener Stimmungen oder die Festigkeit gewisser Fehler, in einem Falle, um den allmählichen Rückgang einer Gehörsumstimmung besser beobachten zu können.

Zur Erzeugung der RT. wurde das Klavier benutzt. Die Gründe dafür sind folgende:

1. Das Klavier gehört zu den am meisten gespielten Instrumenten. Die Klangfarbe seiner Töne ist der größten Zahl aller musikliebenden und musikausübenden Menschen völlig vertraut.
2. Sein Tonumfang ist im Vergleich mit anderen Instrumenten verhältnismäßig groß.
3. Es hat den Vorzug, daß es in fester Stimmung steht.

Wohl ist die Frage bedeutsam: In welchem Umfange vermag die Klangfarbe der verschiedenen Instrumente die Sicherheit der Tonbeurteilung zu beeinflussen? Zu ihrer Beantwortung wäre die Vornahme umfangreicher Versuche mit Streich-, Blas-, Schlaginstrumenten, Stimmgabeln, Tonvariatoren usw. erforderlich. Da jedoch die Bearbeitung dieses neuen umfassenden Problems den Rahmen der vorliegenden Untersuchung gesprengt haben würde, mag dessen Lösung einer späteren Zeit vorbehalten bleiben (Wie ich während des Druckes der vorliegenden Arbeit erfahre, hat Herr Dr. H. Hein, Altona, Versuche in dieser oder ähnlicher Richtung begonnen). Aus demselben Grunde mußte auch die Beantwortung einer Reihe anderer Fragen zurückgestellt werden, wie etwa: Hat ein Absoluthörer ein besonders feines Unterscheidungsvermögen für minimale Tondifferenzen? Welche durchschnittliche Spielraumbreite kommt den einzelnen Tönen ein und derselben O. und ein und demselben Ton in den verschiedenen O. zu? Welches ist die Grenze, bei deren Überschreitung ein Ton als unrein empfunden wird? u. a. m.

Um dem berechtigten Vorwurf zu begegnen, daß bei Benutzung mehrerer Klaviere oder Flügel wegen der oft stark variierenden Stimmung die Vergleichsmöglichkeit der Vr. untereinander wesentlich eingeschränkt werde, wurden die Untersuchungen an einem einzigen Instrument, nämlich an dem in Normalstimmung (a' = 435 Doppelschwingungen) stehenden Steinway- Klavier der Hamburgischen Universität vorgenommen. Von dieser Regel wurde nur ausnahmsweise abgewichen. In den Fällen Ocke Nerong und Robert Sager erwies sich ein Abweichen aus Gründen, die bei Besprechung dieser Sonderfälle erörtert werden sollen, als notwendig. In drei Fällen benutzte ich, um nicht gänzlich auf die Untersuchung von drei Vpn. verzichten zu müssen, mein eigenes Instrument, das zu diesem Zwecke genau auf die Normalstimmung gebracht wurde.

3. Bestimmung von Klaviertönen.

Die Gehörsuntersuchung erstreckte sich auf die Bestimmung sämtlicher Töne des Klaviers, also auf ein Tongebiet von sieben O. Umfang (A'' bis a''''). Jeder dieser 85 Töne wurde auf einen kleinen Zettel geschrieben. Vor Beginn einer jeden Vr. wurden die Zettel nach Art der Spielkarten gemischt. Es sollte damit die Bildung fester, immer wiederkehrender Intervallbeziehungen, die leicht die Tonbeurteilung hätte beeinflussen können, vermieden werden. Aus den auf S. 9 und 10 angeführten Gründen wurden-- bis auf einen Fall-- mit jeder Vp. mehrere Vr. aufgestellt, und zwar:

mit 20 Vpn. je 5 Reihen
mit 1 Vp. je 3 Reihen
und mit 1 Vp. je 1 Reihe.

Die beiden letzten Vpn. waren wegen Zeitmangels leider nicht in der Lage, die Versuche fortzusetzen.

Eine 6. mit Herrn Sager aufgestellte Vr. ist in die Zusammenstellung nicht aufgenommen worden; doch sind ein paar Beispiele daraus gewählt.

Es sind

von 19 Vpn. je 425 Tonurteile
von 1 Vpn. je 255 Tonurteile
von 1 Vpn. je 174 Tonurteile
von 1 Vpn. je 85 Tonurteile

im ganzen also von 22 Vpn. = 8589 Tonurteile abgegeben worden. Dazu kommen noch einige wenige Urteile außerhalb der eigentlichen Vr.

Die Klaviertasten wurden in mittlerer Stärke angeschlagen; der anschlagende Finger verblieb bis zur Urteilsfällung auf der Taste, es sei denn, daß der Ton bereits völlig verklungen war, ehe sein Name angegeben werden konnte.

Die RZ. wurden mit der Stoppuhr in folgender Weise bis auf zehntel Sekunden gemessen: Zugleich mit dem Herunterdrücken der Taste wurde die Uhr in Gang gesetzt und mit dem Aussprechen des Tonurteils abgestoppt. Ungerade Zehntel wurden der bequemeren Berechnungen wegen auf gerade abgerundet.

Eine Angabe über die O.-Lage der RT. wurde aus folgenden Gründen nicht verlangt:

1. Die Bestimmung der O.-Lage wurde für die vorliegende Untersuchung als von mehr untergeordneter Bedeutung erachtet.
2. Sie hätte, da sie ein zweites Urteil darstellt, wegen der gesonderten Protokollierung die ohnehin erhebliche Untersuchungszeit noch mehr verlängert.
3. Sie ist nach Aussage meiner sämtlichen Vpn. lediglich Übungssache, wenigstens für einen Absoluthörer. Ein größerer Teil von ihnen hatte aber bisher ein besonderes Augenmerk hierauf nicht gerichtet.

4. Bestimmung von Geigentönen

In einem einzigen Falle (Rainer Mulzer) wurden außer Klaviertönen auch Geigentöne als Reiztöne geboten. Es geschah dies, um die Behauptung Rainer Mulzers, er erkenne Geigentöne besser als Klaviertöne, auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen. Sämtliche Töne der Geige von g bis h'' wurden einzeln etwa 2 bis 3 Sekunden lang angestrichen; dabei wurden die Töne der leeren Saiten (d', a' und e''), weil sie wegen ihrer von den anderen Tönen abweichenden Klangfarbe wesentlich leichter zu erkennen sind, in der dritten Lage angegeben. Höhere Töne als h" wurden nicht gewählt, da Rainer, wie er angab, sie nicht zu greifen und darum auch nicht zu erkennen vermag.

5. Angabe von Tönen durch Singen und Pfeifen

Der zweite Teil der Untersuchung bestand darin, daß jede Vp. gebeten wurde, mit Notennamen bezeichnete Töne durch Singen in der bequemsten Tonlage oder Pfeifen frei anzugeben. Es kamen dabei alle 12 Töne einer O. an die Reihe. Sie wurden unter Vermeidung leicht zu treffender Intervallschritte in regelloser Folge genannt. Zugleich wurden die Vpn. aufgefordert, so weit wie irgend möglich, von irgendwelchen Intervallbildungen abzusehen. Mehrfach wurde versucht, durch Anschlagen hartklingender Dissonanzen die Erinnerung an die zuletzt angegebenen Töne auszulöschen, was allerdings nicht immer den gewünschten Erfolg hatte. Völlig auszuschalten ist in einer Vr., in der die Töne in verhältnismäßig kleinen Zeitabständen angegeben werden, die unwillkürliche Herstellung von Intervallbeziehungen nicht, namentlich nicht bei Vpn., denen das Hören von Intervallen zur zweiten Natur geworden ist.

Mit der Mehrzahl der Vpn. wurden 3 Vr. der erwähnten Art aufgestellt.

 

II. Kapitel - Individuell verschiedene Verhaltungsweisen bei der Tonbestimmung

1. Psychische Einstellung bei der Auffassung der zu bestimmenden Töne

Man könnte meinen, zur Angabe einer so großen Zahl von Tonurteilen müsse die psychische Einstellung die einer gespannten Aufmerksamkeit sein. Meine Beobachtungen widersprechen dem ganz und gar. Die weitaus größte Zahl der Vpn. erklärte mir, daß für sie mit den Versuchen eine nennenswerte psychische Anspannung nicht verbunden war.

Es mag nicht unerwähnt bleiben, daß C. Stumpf in diesem Punkte anderer Meinung ist. Er schreibt: "Wegen der erforderlichen großen Konzentration ist die augenblickliche Nervenstimmung auf solche Urteile von außerordentlichem Einfluß." (Nr. 23, Bd. 1, S. 309.) Eine starke Konzentration konnte ich in keinem einzigen Falle wahrnehmen, ja sie schien mir zumeist nicht größer zu sein als diejenige, die erforderlich ist, um bekannte, vor die Augen gehaltene Gegenstände mit ihrem Namen zu bezeichnen. Als Belege für die Richtigkeit meiner Beobachtung seien sowohl einige auf diesen Punkt bezügliche Äußerungen meiner Vpn. angeführt, als auch verschiedene, den psychischen Zustand charakterisierende Verhaltungsweisen der Urteilenden ausführlicher besprochen.

Ocke Nerong schildert den Zustand so: "Ich tue nichts, ich träume halb, ich lasse den Ton nur auf mich wirken." Die von mir befragten Vpn. erklärten, so sei der Zustand richtig geschildert. Wiederholt richtete ich bei auffallend langen RZ. die Frage an verschiedene Vpn.: "Was taten Sie in dieser verhältnismäßig langen Zeit?" Herr Musikdirektor Lindenberg äußerte wörtlich: "Auch bei den längsten RZ. geschieht nichts weiter, als daß ich ganz passiv auf den Namen warte." Herr Burmeister sagte: "Ich lasse den Ton nur länger auf mich einwirken." (Diese Bemerkung hat nur für Vr. 4 und 5 Gültigkeit.) Ähnlich meinte Frl. Annemarie Runge: "Es ist mir, als müßten sich die Schwingungen erst im Ohre auswirken." Hätten sich die Vpn. im Zustande einer gespannten Konzentration befunden, dann wäre es wegen eintretender Ermüdung unmöglich gewesen, die fünf Vr. in schneller Folge, zum Teil ohne jede Unterbrechung, aufzunehmen, wie es bei Frl. Runge, Frl. Flügge, Frl. Beyer, Frl. Hansen, Herrn Mumm und Herrn Hartung geschah. Die Einlegung einer kleinen Erholungspause zwischen den einzelnen Vr. wurde von den meisten Vpn. als unnötig bezeichnet.

In den drei Fällen, bei denen man von Ermüdungserscheinungen reden könnte-- es handelt sich nebenbei bemerkt um sehr sensible, durch vielstündiges, tägliches Musizieren angespannte Personen-- lagen die Ursachen der Abspannung zum großen Teile anderswo. Die eine Vp. hatte nach einem anstrengenden Konzert am Tage vorher eine lange, ermüdende Eisenbahnfahrt hinter sich. In den beiden anderen Fällen machte sich bei den Vpn. durch die Länge der Versuche eine leicht begreifliche Nervosität bemerkbar, hatten sie doch nach der Gehörsprüfung noch eine siebenstündige musikalische Berufstätigkeit vor sich.

Natürlich läßt sich nicht leugnen, daß durch eine etwa zwei bis drei Stunden lang fortgesetzte Beurteilung isoliert erklingender Töne leicht das Gefühl einer etwas ermüdenden Monotonie erzeugt werden kann. Um diesem Gefühl zu begegnen, zeichnete Frau Maria Pos-Carloforti zeitweilig Karikaturen an die Wandtafel der Universität. Frau Weiß-Mann holte sich aus ihrem Bücherschrank verschiedene Bücher und las darin, der blinde Herr Burmeister orientierte sich mit den Händen aufs eingehendste über seine Umgebung, Herr Lindenberg beschäftigte sich liebevoll mit seiner Pfeife oder blies den Staub aus den Ecken der Wandtafel-- alles, ohne daß dadurch die Versuche die geringste Unterbrechung erlitten.

Mehrfach wollte ich ein offenstehendes Fenster schließen, um-- wie mir schien-- die sehr lästige Störung durch das fortgesetzte Hupen vorbeifahrender Automobile zum mindesten etwas abzudämpfen, aber fast immer wurde mir gesagt: "Das stört mich nicht." Während der Gehörsprüfung des Herrn Hampf (Vr. 3) wurde in nächster Nachbarschaft ein Windmotor in Betrieb gesetzt. Das singende, surrende Geräusch hielt ich für so lästig und aufdringlich, daß ich vorschlug, die Vr. abzubrechen. Herr Hampf jedoch bestimmte die Haupttöne des Motorgeräusches richtig als ein tief klingendes, brummendes h und ein hoch und fein singendes c und fuhr dann trotz des stark dissonanten Geräusches fort, die Töne mit genau derselben Sicherheit wie vorher zu beurteilen. Daß die Störung tatsächlich die Tonerkennung nicht im mindesten nachteilig beeinflußt hat, wird durch die Fehlerzahlen der verschiedenen Vr. am besten erhärtet. Die während des Motorgeräusches aufgenommene Vr. 3 weist nur 5 Fehler auf, wohingegen die störungslos aufgenommenen Vr. 2 und 4 = 8 und 9 Fehler enthalten. Bei starker geistiger Konzentration wären derartig aufdringliche Geräusche gewiß als unerträglich empfunden worden.

Den möglichen Einwand, das Motorgeräusch habe vielleicht auf die Tonurteile orientierend eingewirkt, möchte ich mit dem Hinweis auf die Konstanz der RZ. in Vr. 3 und 5 = 136,8 Sek. und 137 Sek., sowie durch die Tatsache entkräften, daß auf die störungslos aufgenommene Vr. 5 nur 3 Fehler entfielen.

2. Tonvorstellung, Noten-, Buchstaben- und Tastenbild

Wenn auch einem jeden Tonurteil ein Vergleich mit einer dem Gedächtnis eingeprägten Tonvorstellung vorausgehen muß, so handelt es sich hierbei doch nicht um ein bewußtes Vergleichen des soeben wahrgenommenen Tonreizes mit der durch ihn geweckten Tonvorstellung. Der Prozeß, der mit der Wahrnehmung des Tones beginnt und mit der Tonbenennung endigt, verläuft in seinem mittleren Teil, also bis auf Anfang und Ende, im Unterbewußtsein, wie man sich ja auch bei Benennung irgendeines gesehenen Gegenstandes nicht des Ablaufes der psychischen Vorgänge selbst, sondern nur noch des Endresultates bewußt wird. Die Verlegung des eigentlichen Erkennungsprozesses ins Unterbewußtsein ist eine ökonomische Schutzvorrichtung der teleologisch orientierten Psyche. Übereinstimmend geben alle Vpn. an, daß sie über den Weg, der zur richtigen Benennung der Töne führt, nichts Näheres auszusagen vermögen. In diesem unterbewußten Verlauf der Tonerkennung liegt auch die Erklärung dafür, daß die Tonbeurteilung ohne nennenswerte Aufmerksamkeitsanspannung und anstrengende Konzentration zustande kommt.

Da eine jede Ton Vorstellung mit dem Noten-, dem Buchstaben-, dem Tasten- oder einem festen Griffbild, wohl auch mit einer bestimmten Bewegungsvorstellung assoziative Bindungen eingegangen ist, liegt die Vermutung nahe, daß die Tonempfindung diesen oder jenen Teil der komplexen Tongestalt zwangsläufig wecken und ins Bewußtsein rufen werde. Doch ist dieses eine immerhin seltene Erscheinung. Von den 22 Vpn. gibt nur Frau Krey an, daß ihr das Tastenbild des jeweilig erklingenden Tones vor dem geistigen Auge erscheine. Frl. Runge sagt aus, daß ihr das Buchstabenbild des betreffenden Tones ins Bewußtsein trete. Alle übrigen Vpn. erklären, daß Klang und Name des Reiztones die einzig zu beobachtenden Bewußtseinsinhalte während des Urteilsaktes seien. Aber auch bei Frau Krey und bei Frl. Runge liegen die Dinge keineswegs so, daß das Auftauchen des Tasten- und Buchstabenbildes irgend etwas zur Auffindung des richtigen Tonnamens beitrüge. Eine derartig bedeutsame Funktion kommt weder dem einen noch dem anderen Bilde zu. Beide sind lediglich Begleiterscheinungen.

3. Beziehungslose Bestimmung

Die weitaus häufigste Art der Tonerkennung ist für den "Absoluthörer"-- der Ausdruck sei der Kürze wegen gestattet-- die der völlig beziehungslosen Bestimmung. Der Tonreiz wird empfunden und ohne Inbeziehungsetzung zu anderen Tönen mit dem passenden Namen belegt. "Ich habe keinerlei vorbereitende Vorstellungen, um zur Erkenntnis des Tones zu gelangen" oder "Ich fange den Ton nur auf" sind bezeichnende Wendungen zweier Vpn. für diese Tatsache. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß-- abgesehen von ganz seltenen Ausnahmen-- auch bei auffallend langen RZ. diese beziehungslose Tonbeurteilung die Regel ist. Ja es war in einzelnen Fällen geradezu erstaunlich, wie auch bei empfundener Unsicherheit im Urteil lediglich dieser eine Weg der Tonerkennung beschritten wurde, gleichsam als ob es einen anderen überhaupt nicht gebe. Bei Behandlung der Fehler und Fehlerkorrekturen, sowie des Verhältnisses vom a. G. zum Intervallgehör, steht diese Frage noch einmal zur Erörterung (vgl. Kap. III, 3a).

4. Intervallmäßige Beziehungen zu gehörten und zu vorgestellten Tönen

Daß sich bei einzelnen Vpn. häufiger intervallmäßige Beziehungen zwischen dem soeben und dem zuletzt gehörten, aber auch zu dem vor- oder drittletzten, ja zu einem noch weiter zurückliegenden Tone geradezu aufdrängten, ist natürlich. Namentlich den Herren Burmeister, Hampf und Lindenberg, sowie Frl. Moor war das Heraushören von Intervallschritten oft bei sehr weit auseinander liegenden Tönen (vgl. S. 52) durch die musikalische Erziehung und Bildung zur festen Gewohnheit geworden. So kam häufiger die Antwort: "Das ist die Quinte! Das ist die Oktave!" (Oktavsprünge wurden nach Möglichkeit vermieden.) In diesen Fällen wurden die Intervalle unwillkürlich herausgehört. Etwas anderes ist es, wenn Intervallbeziehungen zu gehörten oder vorgestellten Tönen mit voller Absicht aufgesucht werden, um über den Namen eines schwieriger zu bestimmenden Tones Gewißheit zu erlangen. Im ganzen geben 6 Vpn. an, daß sie sich in seltenen Fällen dieser Methode bedienen. Namentlich Herr Burmeister, der ein sehr verstandesmäßig eingestellter Mensch ist, hatte es sich-- was er mir erst nach Beendigung von 2 Vr. mitteilte-- zum Prinzip gemacht, sich vor der Abgabe der Tonurteile durch absichtliche Herstellung von Intervallbeziehungen zu fest im Gedächtnis stehenden Tönen letzte Gewißheit zu verschaffen, aus dem Bestreben, so wenig wie möglich Fehler zu begehen. Die Folge davon waren eine Verlängerung der RZ. und eine merkliche psychische Anstrengung. Er benutzte zu dieser Intervallbildung nicht lediglich gehörte, sondern auch rein vorstellungsmäßig erzeugte Töne. Auf diese Weise sind die Vr. 1-3 entstanden. Sie weisen nacheinander die Gesamtfehlerzahlen 11, 5 und 17 auf. Da es mir aber sehr wichtig erschien, festzustellen, ob bei Verzicht auf dieses Mittel der Intervallbildung die Richtigkeit der Tonurteile wesentlich herabgesetzt werde, bat ich Herrn Burmeister, bei den Vr. 4 und 5, wenn irgend möglich, gänzlich von dem bezeichneten Kriterium der Tonerkennung abzusehen und die Töne völlig beziehungslos zu beurteilen. Herr Burmeister hat daraufhin seine Urteile reflexionslos, sozusagen instinktiv, abgegeben. Wie zu erwarten, stiegen die Fehlerzahlen an, aber doch nicht wesentlich. Vr. 4 weist 24 Fehlurteile auf, Vr. 5 wieder nur 12; sie steht noch um 5 Fehler besser da als Vr. 3. Offenbar hat Herr B. sich des Mittels der Intervallbildung bei dieser dritten Vr. nicht in dem Umfange bedient wie bei Vr. 1 und 2. Der Grund hierfür darf aber nicht in einer etwaigen Ermüdung, infolge zu großer Aufmerksamkeitsanspannung, gesucht werden, da Vr. 1 und 2 am 3. Januar, die Vr. 3-5 erst am 1. Februar, also vier volle Wochen später, aufgenommen wurden. Besonders evident scheint meine Annahme, abgesehen von den Fehlerzahlen, durch die RZ. gerechtfertigt zu werden. Herr B. brauchte in Summa

für die Vr. 1 = 339,8 Sekunden
für die Vr. 2 = 432,2 Sekunden
für die Vr. 3 = 243,0 Sekunden
für die Vr. 4 = 103,4 Sekunden
für die Vr. 5 = 109,4 Sekunden

Es entfällt auf Vr. 4 und 5 nur der dritte resp. der vierte Teil der Zeit, die für Vr. 1 und 2 erforderlich war. Vr. 3 steht sowohl im Hinblick auf die Fehlerzahl, als auf die RZ. in der Mitte. Durch die Bildung von Intervallen gelang es Herrn B., in Vr. 2 die Fehlerzahl auf 5 herabzudrücken. In engstem Zusammenhange hiermit steht das Anwachsen der RZ. auf die verhältnismäßig sehr hohe Zahl von 432,2 Sek. Bemerkt sei noch, daß Herr B. dagegen bei den verlängerten RZ. für einzelne Töne (in einem Falle gar 7,2 Sek.) in den beiden letzten Vr., wie schon gesagt, bewußt nichts weiter getan hat, als daß er auf den Namen wartete.

Auch Frl. Knaack bildete bei Unsicherheit im Urteil Intervalle, aber nicht mit vorher gehörten, sondern nur mit vorgestellten Tönen, und zwar bildete sie bei hochliegenden eine große Unter- und bei recht tiefen Reiztönen eine große Oberterz. Da Frl. Knaack gar nicht singt, tragen bei ihr die vorgestellten Töne nicht den Charakter von Gesangstönen. Durch diese Terzbildung glaubte sie eine größere Urteilssicherheit zu erreichen. Es wird also der Versuch gemacht, dem noch nicht feststehenden, gehörten Tone einen Halt an dem vorgestellten zu verleihen. Dieses Verfahren hat nur unter der Voraussetzung einen Sinn, daß die verschiedenen Töne auch verschieden fest im musikalischen Gedächtnis verankert sind. Die Richtigkeit dieser Annahme wird durch die 105 von mir aufgestellten Vr. unwiderleglich bewiesen.

Ebenfalls durch Intervallbildung, und zwar durch vorstellungsmäßiges Summen des gehörten und eines ihm mehr vertraut erscheinenden Tones, sucht auch häufig Rainer Mu1zer zur richtigen Tonbestimmung zu gelangen.

5. Akkordbildungen

Eine bemerkenswerte Selbstbeobachtung machte Herr Kage1. Es bildete sich ihm sehr häufig über dem gehörten Tone, ohne daß er wissentlich etwas dazu beitrug, der dazu gehörige Durdreiklang. Diese Tatsache kommt auch in den verhältnismäßig langen RZ. zum Ausdruck. Wie groß der Einfluß der unwillkürlichen Akkordbildungen auf die Richtigkeit der Tonbeurteilung war, vermag ich nicht zu sagen. Da Herr Kage1 Sänger ist, hat man den Grund für die erwähnte Erscheinung wohl in seiner gesanglichen Ausbildung und Betätigung zu suchen. Eine gleiche oder ähnliche Beobachtung wurde von den übrigen Vpn. nicht gemacht.

Der absichtlichen Bildung von Akkorden bediente sich Ocke Nerong bei Unsicherheit der Tonbestimmung in der ersten Vr. zweimal. (Pr. XVI, 1.) Bei H dachte er an E-Dur und bestimmte den Ton nach 8,6 Sek. richtig, bei Fis bildete er den Fis-Dur-Dreiklang und bezeichnete den Ton nach 4,2 Sek. ebenfalls richtig. In Pr. XVI, 2 sah er von Akkordbildungen ab. Jetzt wurde H nach 2,0 Sek. fälschlich als B und Fis, nach 0,6 Sek. ebenfalls unrichtig als F bezeichnet. In Pr. XVI, 3 wird H nach 2,4 Sek. richtig als H bestimmt, während Fis nach 1,8 Sek. wieder mit F benannt wird. Es handelt sich bei Ocke Nerong um rein vorstellungsmäßig gebildete Akkorde. Die Beispiele zeigen jedenfalls, daß dieses Mittel sehr wohl zum Erfolg führen kann. Häufige Anwendung findet es nicht.

6. Transposition in eine mittlere Oktavlage

Für die ganz tiefen und ganz hohen Töne gilt als Regel, daß
sie ohne Vornahme einer Oktaventransposition in die mittlere Lage-- also ebenfalls beziehungslos-- beurteilt werden. Bei richtiger Anwendung der O.-Transposition hätte sich die Fehlerzahl sowohl in den tiefen, als auch in den hohen O. wesentlich einschränken lassen müssen. Die Pr. zeigen aber deutlich, daß man sich dieses Mittels nur äußerst selten bedient. Vgl. z. B. Pr. V, 4. Frl. Hansen macht in der C. O. = 8 und in der ''''O. 6 Fehler, in allen übrigen 5 O. zusammen nur 3 Fehler. Durch Transposition hätte sie die 14 Fehler der beiden Außenoktaven vielleicht vermeiden können. Da jedoch diese hohen und tiefen Töne wegen ihres spitzen, dünnen resp. dumpfen, brummenden Klangcharakters schwerer aufgefaßt werden, ist es allerdings zweifelhaft, ob eine richtige Transposition gelungen wäre. In sämtlichen Vr. habe ich nur 2 O.-Transpositionen beobachten können. Davon fiel die eine richtig aus. Herr Möller transponierte gis'''' in eine tiefere Lage, weil der Ton, wie er sagte, zu unruhig war. (Pr. XII.) Die andere Transposition mißlang: es'''' wurde von Frl. Keller für a gehalten. (Pr. XIII, 1.)

7. Vergewisserung durch Singen oder Pfeifen

Eines besonderen Verfahrens bediente sich Frau Maria
Pos-Carloforti. Sie setzte auf fast jeden zu bestimmenden Ton, teils vor, teils nach dem Aussprechen des Urteils, eine zumeist aus Arpeggien bestehende Gesangskoloratur, eine Eigentümlichkeit, die ihre Erklärung darin findet, daß die Dame von Beruf Koloratursängerin ist. Daß diese Koloraturen jedoch wesentlich zur Tonerkennung beigetragen, oder etwa die sich bereits reflexionslos gebildeten Urteile nachträglich beeinflußt hätten, schien mir, meinem Eindruck nach zu urteilen, recht fraglich. Ich bat Frau P.-C. deshalb vor der Aufstellung der dritten Vr. auf die gesangliche Kontrolle zu verzichten. Der völlige Verzicht darauf gelang erst mit Aufwendung einer gewissen Willensanstrengung bei der fünften Vr. Frau P.-C. fiel es offenbar etwas schwer, sich des ihr geläufigen Vergewisserungsmittels zu begeben.

Die Gesamtfehlerzahlen und die Gesamt-RZ. der 5 Vr. sind folgende:

Vr. 1 = 35 Fehler, 235,2 Sekunden
Vr. 2 = 28 Fehler, 275,0 Sekunden
Vr. 3 = 30 Fehler, 136,0 Sekunden
Vr. 4 = 29 Fehler, 177,6 Sekunden
Vr. 5 = 30 Fehler, 95,6 Sekunden

Die Fehlerzahlen bleiben die 5 Vr. hindurch auffallend konstant. Sie zeigen deutlich, daß das Singen der Koloraturen auf die Beurteilung der Töne ohne jeden Einfluß gewesen ist, bleibt doch selbst in der 5. Vr., bei der Frau P.-C. ohne jede Gesangskontrolle urteilte, die Fehlerzahl auf 30 stehen. Die RZ. bringen klar zum Ausdruck, wie Frau P.-C. sich in den ersten beiden Vr. am ausgiebigsten ihrer Singstimme als eines Prüfmittels bediente, wie sie in der dritten und vierten Vr. davon einen wesentlich geringeren Gebrauch machte und in der fünften Vr. schließlich gänzlich darauf verzichtete.

Auch Frau Krey und Herr Kage1, die beide eine Gesangsausbildung genossen haben, geben an, daß sie bei Unsicherheit in der Beurteilung der RT. hin und wieder eine Übertragung auf die Singstimme vornehmen. Handelte es sich aber bei Frau P.-C. um kräftig gesungene, so hier mehr um gedachte, zum mindesten nicht hörbar angegebene Töne, mithin um eine bloße Einstellung der Kehlkopfmuskulatur. Herr Hampf und Herr Burmeister erklären, daß sie sich dieses Verfahrens in den Fällen bedienen, wenn ein Ton unbestimmt und schlecht auffaßbar ist, wie etwa der Pfiff der Lokomotive oder der Geräuschton einer Autohupe. Die übrigen 17 Vpn. verneinten eine darauf bezügliche Frage.

8. Zwei- und dreimaliges Anschlagen der Tasten

Während ein einmaliges Anschlagen der Tasten die Regel war, wurde auf besonderen Wunsch der Ton zwei- und auch dreimal angegeben. Im ganzen waren es 12 Vpn., die hin und wieder ein zweimaliges Anschlagen wünschten, die übrigen 10 kamen die sämtlichen Vr. hindurch mit einer einmaligen Tonangabe aus. In den Pr. wurden die Fälle eines zwei- und dreimaligen Anschlagens genau bezeichnet. Für ein zweimaliges Anschlagen finden sich darin zahlreiche Beispiele, für ein dreimaliges dagegen nur vier. (Pr. XI, 1. fis', XII, 1. G, XVII, 4, c'''' und g''''.)

a) Der Grund für eine mehrfache Tonangabe war der, daß der sinnliche Eindruck, noch ehe der Name gefunden worden war, zu verblassen begann und die zu seiner Bestimmung erforderliche Lebhaftigkeit verlor. Um einen Vergleich aus einem anderen Sinnesgebiet heranzuziehen: es war, als ob ein Gegenstand, der plötzlich vor den Augen auftauchte, aber nicht völlig erkannt wurde, sich in immer weitere Ferne zurückzuziehen beginne. Keineswegs war jedoch die Erinnerung an den Ton völlig erloschen. Frl. Runge bezeichnete den Zustand so: "Ich habe den Ton nur noch halb im Ohr", ähnlich Herr Sager : "Ich habe den Ton nur halb aufgefangen." Durch den zweiten Tastenanschlag wurde der Eindruck wieder in greifbare Nähe gerückt, er erhielt dann eine Klarheit und Frische, die in den meisten Fällen zur Erkennung, und zwar, was besonders betont sein mag, zu einer völlig reflexionslosen Erkennung des Tones führte. Immer wieder erhielt ich auf meine Frage: "Haben Sie den Ton vergessen?" die, Antwort: "Nein, im Ohre habe ich ihn noch." Gewöhnlich hatten die Vpn. nach dem ersten Tastenanschlag sehr bald das dunkle Gefühl, daß sich erst durch einen zweiten Anschlag der Name des betreffenden Tones im Bewußtsein einstellen werde.

b) Ein zweiter Grund für den Wunsch einer mehrmaligen Tonangabe kann auch der sein, daß die Erinnerung an den gehörten Klang verloren gegangen ist. Ich hatte jedoch nur ein einziges Mal Gelegenheit, einen solchen Fall zu beobachten. Herr Hampf erklärte mir einmal, und zwar sehr bald nach dem Anschlagen der Taste: "Ich habe den Ton völlig vergessen." Mit dem zweiten Anschlag kam dann auch sehr schnell der richtige Name. (Pr. IV, 5 gis''''.) Vgl. die Angaben Herrn Hampfs über sein musikalisches Gedächtnis auf S. 107.

9. Assoziationen zwischen einzelnen Tönen und akustischen Vorsteilungskomplexen

Eine Erscheinung, die nur Herr Kage1 an sich beobachten konnte, war die, daß einzelne der isoliert erklingenden RT. ständig akustische Vorstellungskomplexe wachriefen, die früher einmal mit diesen Tönen feste Assoziationen eingegangen waren. So weckte das cis stets die Erinnerung an den Anfang des Brahms schen Liedes "Von ewiger Liebe". Beim Erklingen des a" traten sofort das Gralmotiv und das Wort "Gral", bei h' und h'' das Lied "Der Neugierige" von Schubert ins Bewußtsein. Diese Beobachtung hatte Herr Kage1 bereits früher an sich gemacht. Zum gedächtnismäßigen Erwerb der genannten Töne haben die betreffenden musikalischen Themen aber nicht beigetragen. Vgl. die Angaben Herrn Kage1s über die Entwicklung seines a. G. auf S. 99.

10. Gewißheitsgrade der Tonbestimmung

Das Gefühl der Gewißheit und Sicherheit bei Abgabe der verschiedenen Tonurteile tritt in sehr feinen Differenzierungen auf. Diese feineren Gefühlsnuancen lassen sich jedoch schwer in Worte kleiden, besonders aber widersetzen sie sich einer genauen Protokollierung.

Im folgenden wird versucht, in groben Umrissen eine Gradskala für diese Gewißheitsgefühle aufzustellen.

1. Das Urteil wird mit dem bestimmten Gefühl der Sicherheit abgegeben. Es tauchen auch nach der Urteilsabgabe keinerlei Zweifel an dessen Richtigkeit auf.

2. Das Gefühl der Sicherheit wird dadurch erschüttert, daß-- sei es willkürlich oder unwillkürlich-- Intervallbeziehungen hergestellt werden. Ein neues Urteil wird jedoch nicht ab gegeben. (Z. B.: "Dann war das vorher wohl auch nicht c")

3. Das Urteil wird nachträglich aus dem unter 2 angeführten Grunde umgestoßen. (Z. B.: "Das war vorher nicht c, sondern cis.")

4. Es tauchen schon Zweifel auf, noch ehe das Urteil ausgesprochen ist, doch gewinnen sie nicht eine solche Stärke, daß sie sich zum sprachlichen Ausdruck verdichten. Das Urteil trägt aber das Merkmal einer mehr oder minder wahrnehmbaren Unsicherheit. Gerade diese feinen Schattierungen des Gewißheitsausdruckes entziehen sich der Protokollierung. Hier macht eben der Ton die Musik. (Z. B.: "Sind Sie sich Ihres Urteils ganz gewiß?" "Ja, ich glaube, daß es richtig ist," oder "Ich bin mir eigentlich sicher" oder "Etwas anderes kann es wohl nicht sein" oder "Ich möchte mit Bestimmtheit behaupten, daß es c war".)

5. Die Zweifel werden gleich bei der Urteilsabgabe geäußert. (Z. B.: "C, aber ich bin mir nicht sicher.") In diesen Fällen ist in den Pr. den Urteilen ein Fragezeichen beigegeben.

6. Das Urteil wird gefällt, aber sehr schnell umgestoßen und dafür ein anderes an seine Stelle gesetzt. (Z. B.: "C, nein es ist b.") An der Richtigkeit des zweiten Urteils wird dann nicht mehr gezweifelt.

7. Eine Entscheidung für einen einzigen Tonnamen wird nicht getroffen. Das Urteil nimmt eine disjunktiv-adversative Form an. (Z. B.: "C oder d; etwas anderes kann es nicht sein.")

8. Die Ungewißheit erfährt eine solche Steigerung, daß für den gehörten Ton drei verschiedene Namen angegeben werden. (Z. B.: Pr. XVII, 3, gis'''' = g oder f oder c.) Hier erreicht die Unsicherheit einen solchen Grad, daß sie dem Gefühl der Unbestimmbarkeit ganz nahe kommt.

9. Es taucht zuerst das Gefühl der Unbestimmbarkeit des Tones auf, doch kommt es nach einer längeren RZ. zur Urteilsbildung. (Z. B.: Pr. XVII, 4 = "Das weiß ich nicht; das ist doch kein Ton", dann nach dreimaligem Anschlagen der Taste bei 20,0 RZ. = g.)

10. Das Gefühl der Unbestimmbarkeit des Tones gewinnt eine solche Stärke, daß der Versuch, den Ton positiv zu bestimmen, gar nicht mehr gemacht wird. Es wird nur noch negativ geurteilt: "Das weiß ich nicht" oder etwa: "Den Ton erkenne ich nicht."

Bei den unter 1-6 aufgeführten Fällen ist es völlig gleichgültig, ob das Urteil objektiv richtig oder falsch war. In Betracht kommt nur das subjektive Gefühl des Urteilenden.

Diese Aufstellung umfaßt nicht alle möglichen Abstufungen und Schattierungen der Gewißheitsgefühle beim Abgeben der Tonurteile. So sei erwähnt, daß hin und wieder auch Urteile in der folgenden konditionalen Form vorkamen: "Wenn dieses c ist, dann war der vorletzte Ton g." Immerhin lassen sich die allermeisten Urteile, unter dem Gesichtspunkt des subjektiven Gewißheitsgefühles der urteilenden Person betrachtet, in obige Skala ohne Schwierigkeiten einordnen.

III. Kapitel - Die Fehler

1. Zahl der Fehler und ihre Verteilung

a) auf die einzelnen Personen

Die graduellen Abweichungen der Fähigkeit zur genauen Bestimmung absoluter Tonhöhen treten am deutlichsten bei einer Aufrechnung der Fehlerzahlen in die Erscheinung. Im folgenden sei eine Zusammenstellung der Gesamt-Pr. für die einzelnen Personen unter dem Gesichtspunkte des Anwachsens der Fehler-zahlen gegeben. Bemerkt sei, daß aus praktischen Gründen die Fälle, in denen ein Ton zuerst falsch, dann aber-- ob früher oder später-- richtig bezeichnet wurde, den Fehlern zugerechnet worden sind; handelt es sich doch hier um bestehende Unsicherheiten. Diese festzustellen, lag aber im Sinne der Untersuchung.

Um das Bild nicht zugunsten der Vpn. zu verschieben, deren Pr. eine Anzahl nicht bestimmbarer Töne aufweisen, sind die Fälle der Nichtbestimmbarkeit besonders aufgeführt und in die Endresultate, die die prozentuale Zunahme der Fehlerzahlen zeigen, mit einbezogen worden.

Es sei ausdrücklich hervorgehoben, daß die Positionen, die die Herren Lindenberg, Nerong und Sager mit ihren Pr. in der Zusammenstellung einnehmen, nicht als ein Ausdruck für die Sicherheit und Zuverlässigkeit ihres a. G. zu gelten haben. Die genannten Herren hatten zur Zeit der Untersuchung eine tiefere Stimmung als die Normalstimmung im Ohr, wodurch ihre Urteilssicherheit in dieser nachteilig beeinflußt wurde. Diesen drei Fällen ist eine Sonderbehandlung vorbehalten. Vgl. Kap. VI.

Tabelle I .

Lfd. Nr. Nr. der Pr. Urteile Fehler Nicht bestimme Töne Proz. der Fehler Proz. der nicht best. Töne Summe der Proz.
1 VI 255 13 - 5,2 - 5,2
2 III 425 32 - 7,5 - 7,5
3 XV 425 34 - 8,0 - 8,0
4 IV 425 36 1 8,5 0,2 8,7
5 XIII 425 62 - 14,6 - 14,6
6 XVIII 425 69 1 16,2 0,2 16,4
7 II 425 69 1 16,2 0,2 16,4
8 I 425 76 - 17,9 - 17,9
9 XXI 425 78 - 18,3 - 18,3
10 XVI 425 77 3 18,1 0,7 18,8
11 V 425 91 - 21,4 - 21,4
12 XXII 425 117 3 27,5 0,7 28,2
13 XVII 425 147 5 34,6 1,2 35,8
14 X 425 154 - 36,2 - 36,2
15 VIII 425 149 5 35,1 1,2 36,3
16 XII 85 31 1 36,4 1,2 37,6
17 VII 425 190 3 44,7 0,7 45,4
18 IX 425 227 37 53,4 8,7 62,1
19 XX 425 273 - 64,2 - 64,2
20 XIX 425 214 64 50,4 15,1 65,5
21 XI 425 275 9 64,7 2,1 66,8
22 XIV 145 110 - 75,8 - 75,8
 

Sa.

8560 2524 133 29,5 1,5 31,0
    2657        

Es sei erwähnt, daß die meisten Vpn. hinsichtlich der Sicherheit ihrer Tonurteile einer Selbsttäuschung unterlagen. Für viele war es eine nicht geringe Überraschung, als sie, nach Beendigung der Versuche, bei der Durchsicht der soeben aufgestellten Pr. die von ihnen begangenen Fehler sahen. Sie hatten fast alle mehr oder weniger an die Unfehlbarkeit ihres Urteils geglaubt.

b) auf die einzelnen Versuchsreihen

Im folgenden sei eine Zusammenstellung gegeben, die zeigt, wie sich die Fehlerzahlen, einschließlich der nicht bestimmbaren Töne, auf die einzelnen Vr. verteilen. Die Pr. stehen in derselben Reihenfolge wie in Tabelle I.

Tabelle II.

Nr. VI III XV IV XIII XVIII II I XXI XVI V XXII XVII X VIII XII VII IX XX XIX XI XIV
1 4 9 5 12 19 21 11 12 24 23 21 34 35 32 31 32 41 47 52 68 63 23
2 2 4 8 8 9 12 5 14 11 21 19 23 28 37 32 - 42 48 53 70 64 18
3 7 3 7 5 12 12 18 17 16 20 18 27 30 29 31 - 34 59 57 64 51 23
4 - 9 7 9 11 14 24 15 14 9 18 17 29 30 29 - 35 54 55 39 61 21
5 - 7 7 3 11 11 12 18 13 7 15 19 30 26 31 - 41 56 56 37 45 25
Sa. 13 32 34 37 62 70 70 76 78 80 91 120 152 154 154 32 193 264 273 278 284 110

Die von einer Schlangenlinie umrahmten Vr. standen unter mehr oder weniger veränderten Versuchsbedingungen.

Wegen des Pr. II vgl. Kap. II, 4
Wegen des Pr. XI vgl. Kap. VI, 3
Wegen des Pr. XVII vgl. Kap. II, 7

Pf. IV, 4 u. 5 = am eigenen Klavier der Vp. (Normalstimmung)
Pr. XXII, 4 u. 5 = am eigenen Klavier der Vp. (Normalstimmung)
Pr. XVI, 4 u. 5 = am eigenen Klavier der Vp., l 1/4 Ton unter Normalstimmung
Pr. XIX, 4 u. 5 = am eigenen Klavier der Vp., 1/4 Ton unter Normalstimmung

Die Tabelle zeigt, daß sich im allgemeinen die Zahlen der fünf Vr. nicht weit von dem jeweiligen Mittelwert entfernen. Recht geringe Schwankungen weist Pr. VIII auf.

In den Pr. XIII, XVIII, XXI, XXII, XVI, IV, V, XVII hat die erste Vr. die größte Fehlerzahl. Auffällig tritt dieses namentlich bei den vier zuerst genannten hervor.

Ein Anwachsen der Fehlerzahlen zeigen die Pr. XV, XX, I und IX.

Erwähnt sei, daß Fehlerkorrekturen von meiner Seite weder vorgenommen, noch irgendwie angeregt wurden. Ich hebe dieses hervor, um der etwaigen Mutmaßung vorzubeugen, die Abnahme der Fehler sei darauf zurückzuführen, daß die Vpn. die aus den Fehlerkorrekturen der ersten Vr. gemachten Erfahrungen für die übrigen Vr. mit gutem Erfolg auszunutzen vermochten. In dem keineswegs stetigen Ansteigen der Fehlerzahlen einen Beweis für die allmähliche Ermüdung der betreffenden Vpn. sehen zu wollen, scheint mir-- zum mindesten für die beiden ersten Fälle-- nicht angängig zu sein. Die Differenzen sind zu gering, um ernstlich ins Gewicht zu fallen; erklärten mir doch sämtliche Vpn., daß ihre Urteile hinsichtlich der untersten Töne des Klaviers-- etwa von A,, bis D,-- einen solchen Grad von Unsicherheit besäßen, daß richtige Urteile in dieser Region mehr oder minder als Zufallstreffer anzusehen seien.

Für die beiden letzten Pr. jedoch scheint mir die Annahme eine gewisse Berechtigung zu haben, obgleich die betreffenden Vpn. eine Ermüdung, die eine Abnahme der Urteilszuverlässigkeit hätte bewirken können, nicht an sich wahrzunehmen vermochten.

Um ein allgemeingültiges Bild zu erhalten, seien die Fehlerzahlen aller der Pr., deren Vr. unter denselben Bedingungen standen, addiert. Es treten dadurch eine Verschleifung und ein Ausgleich aller der Einflüsse ein, die in individuellen Verschiedenheiten und Verhaltungsweisen ihren Grund haben.

Tabelle III.

Nr. III XV XIII XVIII I XXI V X VIII VII IX XX XIV Sa.
1 9 5 19 21 12 24 21 32 31 41 47 52 23 337
2 4 8 9 12 14 11 19 37 32 42 48 53 18 307
3 3 7 12 12 17 16 18 29 31 34 59 57 23 318
4 9 7 11 14 15 14 18 30 29 35 54 55 21 312
5 7 7 11 11 18 13 15 26 31 41 56 56 25 317
Sa. 32 34 62 70 76 78 91 154 154 193 264 273 110 1591

Durch die Addition wird ersichtlich, daß allgemein auf die erste Vr. die größte Fehlerzahl entfällt. Es scheint mir die Annahme berechtigt, daß die verminderten Fehlerzahlen in den übrigen Vr. ein Vertrautwerden mit dem Klangcharakter des fremden Instrumentes zum Ausdruck bringen. Sie zeigen ferner, daß von einer die Richtigkeit der Urteile beeinflussenden Ermüdung der Vpn. durch die verhältnismäßig lange Gehörsuntersuchung nicht gesprochen werden kann.

c) auf die einzelnen Oktaven

Eine vierte Tabelle mag die Verteilung der Fehler, einschließlich der nicht bestimmbaren Töne, auf die einzelnen O. veranschaulichen.

Tabelle IV.

Oktaven VI III XV IV XIII XVIII II I XXI XVI V XXII XVII X VIII XII VII IX XX XIX XI XIV Sa. in sämtl. Pr.
Sub-Contra 6 9 13 6 13 12 6 11 7 9 6 14 14 13 15 3 9 14 13 15 15 - 223 (888)*
Contra 5 13 18 6 17 24 19 33 23 26 35 26 36 34 38 5 39 45 52 41 43 - 578
Große - 2 - 2 10 6 4 15 15 11 10 11 20 32 13 8 30 39 40 34 38 - 340
Kleine - 1 - 3 2 7 6 - 9 7 1 8 10 19 5 3 32 32 31 39 37 (21) 252
' - - - - 1 1 2 - 3 3 2 4 4 6 3 3 22 29 26 36 47 (41) 192
'' - - - 1 4 3 3 1 3 3 1 7 10 6 5 3 16 35 76 37 38 (48) 212
''' - 5 1 5 3 5 14 1 8 4 6 18 25 10 27 2 19 32 35 39 37 - 296
'''' 2 2 2 14 12 12 16 15 10 17 30 32 33 34 48 5 26 38 40 37 29 - 459 (551)*
Sa. 13 32 34 37 62 70 70 76 78 80 91 120 152 154 154 32 193 264 313 278 284 (110) 2547

*Die den übrigen O. angeglichenen Fehlerzahlen als untere Grenzwerte.

Die Fehler des Pr. XIV sind nicht in die Summen mit aufgenommen worden, da Rainer Mulzer nur die Töne von 3 O. bestimmt hat. Um sämtliche O. miteinander vergleichen zu können, müssen die 223 Fehler der SCO., da sie auf dem Klavier nur drei Töne umfaßt, mit 4, die 459 der ''''O., da sie nur 10 Töne enthält, mit 1,2 multipliziert werden. Es entfallen dann auf die SCO. 888 und auf die ''''O. = 551 Fehler. Die so errechneten Zahlen stellen lediglich die unteren Grenzwerte dar.

Die Tabelle lehrt, daß die 'O., mag sich auch in einzelnen Fällen das Bild etwas verschieben-- eine geradezu merkwürdige Ausnahme zeigt Pr. XI (vgl. Kap. VI, 1)-- hinsichtlich der Erkennbarkeit ihrer Töne unbestritten an erster Stelle steht. Auf diese folgen regelmäßig fortlaufend je eine O. rechts und dann eine links, so daß sich folgendes Bild ergibt:

Hätte das Klavier eine volle '''''O., so würde die Richtungslinie wahrscheinlich zuerst hierhin und dann zur SCO., vorausgesetzt, daß sie ebenfalls vollständig wäre, gehen.

Die Gleichmäßigkeit der Richtungsänderung ist so augenfällig, daß man den Tatbestand in folgende Regel kleiden kann:

Die Töne der 'O. werden am leichtesten erkannt; darauf folgen, bei Anordnung aller O. von unten nach oben in einer waagerechten, geraden Linie, gleichmäßig abwechselnd je eine O. rechts, dann eine links.

In welchem Maße die Schwierigkeit der absoluten Tonbestimmung, von der 'O. gerechnet, nach oben und unten zunimmt, zeigt nebenstehende Kurve.  (Fig. 1).


Fig. 1

Die 'O. ist diejenige, die der ungeschulten Singstimme am bequemsten liegt. Von hier wächst, nach der Höhe wie nach der Tiefe, die Erkennungsschwierigkeit von O. zu O., fast gleichmäßig in immer größeren Sprüngen, mit einer unverkennbaren Abhängigkeit von dem Ansteigen derjenigen Schwierigkeit, die zur Erzeugung der Töne durch Singen oder Pfeifen, nach oben und unten hin, erforderlich ist. Der Bereich der sicheren absoluten Tonerkennung geht wohl über den der Tonerzeugung durch die menschliche Stimme hinaus, aber doch nicht mehr wesentlich.

Die 'O. ist die Grundlage des musikalischen Tonbereiches. Sie steht am Beginn der musikalischen Ausbildung. Mit ihren Tönen fängt wohl ein jeder Klavierunterricht an. Es ist daher nur natürlich, wenn diese O. auch in Anbetracht der absoluten Tonerkennung eine unbestrittene Vorzugsstellung behauptet.

d) auf die einzelnen Töne

Die Vr. ergeben als unumstößliche, fast allen Vpn. vor der Untersuchung entweder gar nicht oder doch nur unklar bewußte Tatsache, daß die 12 Töne der Tonleiter, unter dem Gesichtspunkt ihrer Erkennungsschwierigkeit betrachtet, keineswegs als gleichwertig zu gelten haben, daß sie vielmehr eine Stufenleiter bilden, die in ihrem Aufbau ein von Individuum zu Individuum wechselndes Bild zeigt.

Eine Tabelle mag auch hier die Verteilung der Fehler, einschließlich der Fälle der Nichtbestimmbarkeit, auf die einzelnen Töne der Tonleiter verdeutlichen.

Tabelle V.

Töne VI III XV IV XIII XVIII II I XXI XVI V XXII XVII X VIII XII VII IX XX XIX XI XIV Sa.
C 1 4 - 6 6 10 5 1 9 4 11 2 17 17 11 4 21 15 19 20 26 7 216
Cis 1 2 2 4 9 13 .1 8 11 12 4 13 15 12 12 - 15 29 24 28 26 10 251
D 2 3 3 - 4 3 11 3 3 4 8 4 13 13 11 3 13 13 24 13 20 5 176
Dis - - - 3 5 5 4 5 2 8 10 5 17 21 11 3 20 28 17 21 22 10 217
E - 6 1 3 - 1 4 10 3 10 7 7 11 10 12 - 17 20 15 23 24 5 189
F - 2 5 - 4 9 6 6 4 4 5 8 7 8 6 4 17 12 24 31 21 9 192
Fis 1 1 6 5 1 2 6 7 7 4 14 16 10 11 14 2 16 20 18 25 26 10 221
G - - - 2 5 - 4 1 14 7 3 7 13 12 9 6 20 25 22 11 21 11 193
Gis 1 2 2 2 2 6 3 6 13 4 8 11 7 8 18 - 13 32 32 32 18 15 235
  (1-1) (5-5) (5-5) (3-1) (8-4) (12-5) (13-4) (7-3) (3-2) (9-0) (7-0) (20-3) (19-5) (19-4) (20-5) (5-1) (15-2) (17-4) (14-4) (27-5) (30-5) (6-0) (265)
A - - - 2 4 7 9 4 1 9 7 17 14 15 15 4 13 13 10 22 25 6 197
B 4 6 7 5 13 6 6 14 7 5 8 6 15 17 15 4 14 28 31 21 23 15 270
H 2 1 4 4 5 3 7 8 2 9 6 21 8 6 15 1 12 25 33 26 27 7 232
Sa. 12 27 29 36 58 65 66 73 76 80 91 117 147 150 149 31 191 260 269 273 279 110 2589

Um die Zahlen miteinander vergleichen zu können, sind die Fehler, die auf das A,, entfallen, außer Betracht gelassen. Ist doch das A,, der einzige Ton, der auf dem Klavier in acht O. vorkommt, während auf alle übrigen Töne nur sieben O. entfallen.

Wie ersichtlich, zeigen die Fehlerzahlen in jedem Pr. Schwankungen. Zum Teil sind sie recht erheblich; z. B.:

Pr. XVIII : G = 0, Cis = 13 Fehler
Pr. XXI : A = 1, G = 14 Fehler
Pr. XXII : C = 2, A = 21 Fehler
Pr. XIX : G = 11, Gis = 32 Fehler
Pr. XX : A = 10, H = 33 Fehler

Wenn man die Gesamtfehlerzahlen in folgender Zusammenstellung betrachtet:

C : Cis = 216 : 251
D : Des = 176 : 251
D : Dis = 176 : 217
E : Es = 189 : 217
F : Fis = 192 : 221
G : Ges = 193 : 221
G : Gis = 193 : 235
A : As = 197 : 235
A : Ais = 197 : 270
H : B = 232 : 270

ergibt sich als Resultat:

Die sieben Töne der G-Dur-Tonleiter genießen, hinsichtlich ihrer Erkennbarkeit, gegenüber den von ihnen durch einfache Versetzungszeichen (#, b) abgeleiteten Tönen, sofern diese nicht selbst wieder der C-Leiter angehören (his = c, eis = f, ces = h, fes = e), eine unbestrittene Vorrangstellung.

Dieser Satz ist für die Gesamtfehlerzahlen ohne Ausnahme gültig. Allgemein kann man also sagen:

Die Töne der weißen Tasten werden besser erkannt als die der schwarzen.

Es entfielen im Durchschnitt auf jene 199, auf diese 239 F.

Was vorher für die 'O. im Hinblick auf die übrigen O. galt, gilt jetzt für die Töne der G-Dur-Tonleiter in Beziehung auf alle anderen Tonleitern.
Der Zu- und Abnahme der für die im Quintenzirkel angeordneten Tonleitern erforderlichen Versetzungszeichen läuft ein Ansteigen und Abfallen der entsprechenden Fehlerzahlen parallel, was aus folgender Aufstellung ersichtlich wird:

C-Dur - 1395 Fehler
Ges-Dur - 1618 Fehler
G-Dur - 1424 Fehler
Des-Dur - 1602 Fehler
D-Dur - 1459 Fehler
As-Dur - 1574 Fehler
A-Dur - 1501 Fehler
Es-Dur 1499 Fehler
E-Dur - 1542 Fehler
B-Dur - 1461 Fehler
H-Dur - 1615 Fehler
F-Dur - 1433 Fehler
Fis-Dur - 1618 Fehler
C-Dur - 1395 Fehler

Es läßt sich daraus sowohl für die Gruppe der Kreuz-, als auch für die der B-Tonleitern folgende Regel aufstellen:

Eine Tonleiter wird in Anbetracht der Gesamtheit ihrer Töne um so besser erkannt, je weniger Vorzeichen sie hat.

Die folgende Zusammenstellung deckt eine merkwürdige Parallele auf:

I C D E F G A H
216 176 189 192 193 265
(197)
232
II Cis Dis - Fis Gis Ais -
251 217 - 221 235 270 -


Fig. 2

Die Kurven der Reihen I und II Cis/C (Fig. 2) zeigen im Steigen und Fallen fast denselben Verlauf.

Die schlechten Positionen von A, B und H finden zum Teil ihre Erklärung darin, daß diese drei Töne die untersten des Klavieres sind.

Die im Anhang gegebenen Kurven lassen die Erkennungswertigkeiten der einzelnen Töne für jede Vp. deutlich hervortreten. Bei Frl. Beyer, Frl. Knaack , Herrn Möller, Herrn Sager und Frau Weiß-Mann zeigt die Fehlerkurve mit chromatischer Tonfolge eine zerrissenere, reicher gegipfelte Form, als die mit harmonischer Tonanordnung. Umgekehrt liegt der Fall bei Frl. Keller.

Eine genaue Durchsicht der Kurven legt die Vermutung nahe, - daß die 12 Töne der Tonleiter in einem individuell verschiedenen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen, daß sie m. a. W. ein wie auch immer geartetes System untereinander bilden.

Auf einige Beziehungen sei besonders hingewiesen:

1. Die Entfernung um einen Tritonus weisen auf:

a) zwischen den beiden am schlechtesten erkannten Tönen

Kurve 6 = E-B
Kurve 7 = C-Fis
Kurve 8 = C-Fis

Bei Kurve 8 ist besonders beachtenswert, daß dieselbe Spannung auch zwischen den beiden besterkannten Tönen vorkommt, und ferner, daß die besten und schlechtesten Töne einen Halbtonschnitt voneinander entfernt liegen.

b) zwischen den beiden am besten erkannten Tönen

Kurve 8 = Cis-G
Kurve 13 = H-F (neben Gis)
Kurve 14 = Gis-D
Kurve 20 = F (neben Gis)-H
Kurve 24 = A-Dis (neben H)

c) zwischen dem am besten und dem am schlechtesten beurteilten Ton

Kurve 15 = Cis (neben E)-G
Kurve 16 = E-B
Kurve 21 = Cis-G
Kurve 22 = D-Gis

2. Quintenbeziehungen

Kurve 4 b = C-G = besterkannte Töne
D-A = gleichwertige Töne
Kurve 5 b = Cis-Gis = besterkannte Töne
D-A = schlechtest erkannte Töne
B-F = gleichwertige Töne
Kurve 6 b = H-Fis = gleichwertige Töne
Cis-Gis
Kurve 9 b = Fis-Cis-Gis = gleichwertige Töne
A-E
Kurve 12 b = D-A = gleichwertige Töne
Es-B
Cis-Gis = schlechtest erkannte Töne
Kurve 15b = B-F-C = gleichwertige Töne
Cis-Gis
Kurve 18 b = C-G = gleichwertige Töne
Cis-Gis

(beachtenswert der Halbtonschritt zwischen den best- und schlechtest erkannten Tönen.)

3. Chromatische Beziehungen

Kurve 7 a = G-Gis-A = gleichwertige Töne
Dis-E
B-H
Kurve 9 a = Dis-E-F
C-Cis
Kurve 11 a = A-B-H
D-Dis
Kurve 24a = G-Gis = schlechtest erkannte Töne

a) Dreiklang:

Kurve 8 = die drei schlechtest erkannten Töne bilden den verminderten Dreiklang: C Es Ges.
Kurve 10 = die drei schlechtest erkannten Töne bilden den Molldreiklang: C Es G.
Kurve 15 = die drei besterkannten Töne bilden den Molldreiklang Cis E Gis.

b) Vierklang:

Kurve 13 = die vier besterkannten Töne bilden den
Dominantseptakkord Des F As Ces. Kurve 18 = die vier besterkannten Töne bilden den
Septakkord der VII. Stufe A C Es G.

c) Fünfklang:

Kurve 19 = die fünf schlechtest erkannten Töne ergeben den Nonenakkord A Cis E G H.

2. Art der Fehler

A. bezüglich der Intervalle

Bisher sind die Fehler ohne jede Rücksicht auf ihre Art behandelt worden. Im folgenden sollen sie unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.

Die nächstliegende Einteilung der Fehler ist die nach ihrer Größe. Den immer größer werdenden Intervallschritten entsprechend, lassen sie sich einteilen in:

1. Halbton-, 2. Ganzton-, 3. kleine Terz-, 4. große Terz-, 5. reine Quart-, 6. verminderte Quint- und 7. reine Quint-Fehler.

Jeder dieser Intervallfehler kann von dem zu bestimmenden Tone aus sowohl nach oben, als auch nach unten gerechnet werden. Die erste Art bezeichne ich mit einem +, die zweite mit einem -.

Fehler, die man mit demselben Recht als nach oben gerichtete Sexten oder Septimen, wie als nach unten liegende Terzen oder Sekunden bezeichnen könnte, werden als Fehler der letzten Art gebucht, um nicht die Fehlerarten unnötig zu vergrößern.

Folgende Tabelle zeigt die Häufigkeit jeder Fehlerart bei den einzelnen Vpn. und zugleich in ihrer Gesamtheit:

Tabelle VI.

Pr. Halbton Ganzton Kleine Terz Große Terz Quart Vermind. Quint Reine Quint Sa.
+ - + - + - + - + - + - + -
VI 9 3 1 - - - - - - ** - - *** 13
III 23 - 1 - - - 1 - 5 - 2 32
XV 15 10 5 - 4 - - - - - - 34
IV 20 5 10 1 - - - - - - - 36
XIII 41 15 4 - - - 1 1 - - - 62
XVIII 47 14 2 2 - 1 1 1 - 1 - 69
II 29 30 3 4 1 1 1 - - - - 69
I 51 7 11 2 4 - - - - - 1 76
XXI 37 14 10 5 1 2 1 1 1 - 6 78
XVI 42 25 4 2 - 1 1 - - - 2 77
V 27 18 7 12 4 8 4 6 2 1 2 91
XXII 58 21 12 3 8 1 5 4 3 1 1 117
XVII 71 33 15 5 6 2 2 2 3 4 4 147
X 104 17 12 6 3 4 2 3 1 - 2 154
VIII 42 34 18 7 6 5 6 2 6 10 13 149
XII 21 5 3 1 - - 1 - - - - 31
VII 79 48 20 16 9 4 5 2 3 2 2 190
IX 138 21 13 5 10 3 4 12 6 3 12 227
XX 122 54 32 11 6 9 5 6 12 5 11 273
XIX 116 33 29 11 13 4 5 - 2 - 1 214
XI 215 19 26 3 8 1 2 - 1 - - 275
XIV 33 19 24 11 11 3 7 - 2 - - 110
Sa. 1340 445 262 107 94 49 54 40 47   27 59   2524
  1785 369 143 94 47 27 59

** als + Quint protokolliert
*** als + Quart protokolliert

Tabelle VII gibt dieselben Fehlerzahlen in %.

Tabelle VII.

Pr. Halbton Ganzton Kleine Terz Große Terz Reine Quart Verminderte Quint Reine Quint
+ - + - + - + -
VI 69,2 23,1 7,7 - - - - - - - -
III 71,9 - 3,1 - - - 3,1 - 15,6 - 6,3
XV 44,2 29,4 14,7 - 11,7 - - - - - -
IV 55,5 13,9 27,8 2,8 - - - - - - -
XIII 66,1 24,2 6,5 - - - 1,6 1,6 - - -
XVIII 68,1 20,3 2,9 2,9 - 1,4 1,45 1,45 - 1,4 -
II 42,0 43,5 4,3 5,9 1,45 1,45 1,4 - - - -
I 67,1 9,2 14,5 2,6 5,3 - - - - - 1,3
XXI 47,5 17,9 12,8 6,4 1,3 2,5 1,3 1,3 1,3 - 7,7
XVI 54,5 32,5 5,2 2,6 - 1,3 1,3 - - - 2,6
V 29,6 19,8 7,7 13,2 4,4 8,8 4,4 6,6 2,2 1,1 2,2
XXII 49,6 17,9 10,2 2,6 6,8 0,9 4,3 3,4 2,5 0,9 0,9
XVII 48,4 22,4 10,2 3,4 4,1 1,4 1,35 1,35 2,0 2,7 2,7
X 66,8 11,8 7,8 3,9 1,9 2,6 1,3 2,0 0,6 - 1,3
VIII 28,2 22,8 12,0 4,7 4,0 3,4 4,1 1,3 4,1 6,7 8,7
XII 67,8 16,1 9,7 3,2 - - 3,2 - - - -
VII 41,6 25,3 10,5 8,4 4,8 2,1 2,7 1,0 1,6 1,0 1,0
IX 60,8 9,2 5,7 2,2 4,5 1,3 1,8 5,3 2,6 1,3 5,3
XX 44,6 19,9 11,8 4,0 2,2 3,3 1,8 2,2 4,4 1,8 4,0
XIX 54,2 15,4 13,6 5,1 6,1 1,9 2,3 - 0,9 - 0,5
XI 78,2 6,9 8,6 1,9 2,9 0,4 0,7 - 0,4 - -
XIV 30,0 17,3 21,8 10,0 10,0 2,7 6,4 - 1,8 - -
Sa. 53,1 17,6 10,4 4,3 3,7 2,0 2,2 1,6 1,7 1,1 2,3
70,7 14,7 5,7 3,8 1,7 1,1 2,3

Die Endresultate der Tabelle VI und VII lehren:

1. Der Halbtonfehler wird am häufigsten begangen. Er ist der typische Fehler des Absoluthörers. An Zahl übertrifft er alle übrigen Fehler zusammen genommen.

2. Unter den Halbtonfehlern kommen die +-Fehler dreimal so oft vor wie die-Fehler.

3. Dem schrittweisen Ansteigen der Intervalle bis zur verminderten Quint entspricht ein schnelles Absinken der Fehlerzahlen.

4. Auf den Tritonus, als das harmonisch entfernteste Intervall, entfallen die wenigsten Fehler.

5. Der Quotient, gebildet aus der Zahl der +-Fehler durch die der-Fehler, ist am größten bei den Halbtonfehlern, von da an fällt er beständig; oder, in % ausgedrückt: es betragen die -Fehler von den entsprechenden +- Fehlern.

bei den Halbtonfehlern = 33%
bei den Ganztonfehlern = 41%
bei den Fehlern der kleinen Terz = 52%
bei den Fehlern der großen Terz = 74%.

Bei Betrachtung der Einzelprotokolle ergibt sich, daß der unter 1. angeführte Satz-- bis auf das Pr. XIV, das einen Sonderfall darstellt (vergl. Kap. VI, 3)-- ohne Ausnahme gültig ist.

Von der unter 3. angeführten Regel machen nur die Pr. III und VIII eine Ausnahme.

Der Satz über die Tritonusfehler findet auf die Pr. VIII und XVII keine Anwendung. Am häufigsten durchbrochen wird die Regel über das Verhältnis der +- zu den-Fehlern.

B. bezüglich der Wiederkehr ihres Auftretens

Unter dem Gesichtspunkte der Wiederkehr ihres Auftretens lassen sich 1. singuläre, 2. perseverierende, und zwar

a) in geschlossener Folge,
b) in unterbrochener Folge,
c) in gemischter Folge

und 3. konstante Fehler und Fehlergruppen unterscheiden.

Als Belege seien für jede Fehlerart eine Anzahl Beispiele angeführt.

1. Singulär nenne ich einen Fehler, wenn er in sämtlichen 5 Vr. eines Pr. nur ein einziges Mal auftritt.

Beispiel R. I

Pr. Vr. RT. F.
I 5 f'''' fis
5 A, b
5 gis'' a
II 1 dis''' cis
3 fis g
IV 2 e fis
4 g''' gis
V 1 e f
VII 1 h' c
VIII 3 gis c
IX 3 f'' fis
X 1 cis' d
XIII 1 d' es
1 d'' es
1 d'''' es
5 F e
XV 3 Cis, c
3 cis''' d
2 E, es
XVI 3 G as
1 h c
1 f'''' fis
2 a''' b
3 c'' h
XVII 1 fis'' g
1 fis''' g
XVIII 1 H, c
XX 3 f'''' e
3 g c
XXI 3 F fis
1 dis''' b
XXII 1 Cis d
2 h'' b
3 F e
1 Gis a
1 cis' d

Es kommt häufiger vor, daß sich ein Fehler durch Unsicherheit in einer früheren Vr. vorbereitet. Vgl. Pr. XV, 1. E wird zwar richtig beurteilt, doch wird die Richtigkeit der Benennung bereits angezweifelt. In der zweiten Vr. hat sich diese bestehende Unsicherheit zu einem falschen Urteil verfestigt. Pr. XV, 1 = B,, und B werden richtig beurteilt und dann bezweifelt In Vr. 2, 3 und 4 werden dieselben Töne falsch benannt. Pr. XIII, 1. Es, wird als E und f'' als fis bezeichnet, aber gleich dahinter richtig korrigiert. In Vr. 2 und 3 haben sich die Fehler festgesetzt, in Vr. 4 und 5 sind sie wieder verschwunden.

2. Ist ein Ton einmal falsch benannt worden, dann zeigt das Falschurteil sehr oft die Tendenz zu einer kürzeren oder längeren Perseveration. Die Pr. weisen eine Fülle von Beispielen dafür auf. Die Perseveration kann sich kundgeben

a) in geschlossener Fehlerfolge

Beispiel R. II

Pr. Vr. RT. F.
IV 4 5 fis'''' f
4 5 a'''' gis
V 1 2 d' es
X 1 2 b''' h
XI 4 5 cis'''' es
XIII 4 5 cis''' c
XV 4 5 D1 des
XVI 2 3 g'' as
I 1 2 3 gis'''' a
II 3 4 5 D1 cis
III 3 4 5 C1 cis
V 3 4 5 Gis1 a
VII 1 2 3 b''' a
XIII 1 2 3 f'' fis
XVII 3 4 5 G gis
2 3 4 g''' gis
XX 3 4 5 c''' cis
V 1 2 3 4 Fis g
VII 2 3 4 5 e' f
VIII 2 3 4 5 Gis1 b
X 1 2 3 4 A b
XIII 2 3 4 5 B1 h
2 3 4 5 H1 c
XVII 1 2 3 4 b''' h

In einzelnen Fällen wurden, um die Perseverationstendenz recht deutlich erkennbar zu machen, ein paar Extraversuche angestellt. Vgl. XV, 5. Es wird gis'''' als g bezeichnet. Das gis'''' wird noch dreimal als Reizton, und zwar in die Vr. eingestreut, geboten und auch dreimal falsch beurteilt.

Vgl. ferner Pr. XIII. In der ersten Vr. wird Dis, als E bezeichnet und dann richtig korrigiert. In der zweiten Vr. hat sich der Fehler konsolidiert. Er bleibt auch in der dritten Vr. bestehen. In der vierten Vr. verschwindet er; an seine Stelle tritt der Fehler D. Nun perseveriert der neue Fehler. Er beharrt jetzt in der fünften Vr. und erscheint auch noch in einem Extraversuch.

Pr. XVII. In der dritten Vr. taucht der Fehler gis anstatt G auf. Er kehrt jetzt in Vr. IV und V und außerdem ein besonders eingelegtes viertes Mal wieder.

Die Perseverationstendenz äußert sich mitunter auch bei zwei, ja bei drei Tönen nebeneinanderliegender O. Die Fehler bilden dann eine Gruppe; z. B.

Beispiel R. III

Pr. Vr.     Reiz-Töne Fehler Bemerkungen
I 3 4 5 H2 u. Ht c und c  
II 4 5 - g''' u. g'''' fis und fis  
X 1 2 3 G und g as u. as Das 2. as verbleibt -auch in der 4. Vr.
XV 2 3 4 B2 u. B1 c und h Das h verbleibt auch in der 5.Vr.
IX 1 2 3 Dis u. dis u. dis' e u. e u. e  

b) in unterbrochener Fehlerfolge

Es kommt häufig vor, daß die Tendenz zur Perseveration eine Unterbrechung durch ein richtiges oder auch durch ein anderes fehlerhaftes Urteil erleidet, ehe sie wieder zum Durchbruch gelangt. Solche "sporadischen" Fehler kommen häufiger in zwei, seltener in drei Vr. vor.

Beispiel R. IV

Pr. Vr. RT. F.
II 3 5   E, f
1 3 Gis, a
1 4 a''' b
VII 1 3 b'' b
VIII 3 5 G fis
IX 1 3 c' cis
X 1 3 A, b
XVI 1 3 f' fis
XVIII 1 5 f'''' fis
XX 1 3 Fis g
XXII 3 5 h b
3 5 Fis, g
I 1 3 5 fis'''' as
VII 1 3 5 fis''' g
1 3 5 c'''' des
XX 1 3 5 cis d
XXII 1 3 5 Gis g

Als Beispiel für eine Fehler gruppe dieser Art sei Pr. X, 3 und 5, c''' und c'''' = Gis, Gis genannt.

c) in gemischter Fehlerfolge

Diese, in einem Teil geschlossene, im anderen Teil unterbrochene, also gemischte, regellose Folge ist die Art, in der sich die Perseverationstendenz am häufigsten kundgibt.

Beispiel R. V

Pr. Vr RT. F.
VII 1 2 4   c' des
1 4 5 a b
VIII 2 3 5 h'' b
X 1 2 4 d es
XI 1 2 4 f' fis
XVIII 1 3 4 A b
I 1 3 4 5 Cis d
1 2 3 5 e'''' f
VII 1 2 3 5 c''' des
VIII 1 2 3 5 d es
1 2 4 5 B, h
IX 1 3 4 5 cis' d
X 1 2 4 5 Dis e

In einzelnen Fällen ließ sich deutlich verfolgen, wie die Tendenz zur Perseveration doch nicht, trotzdem sie deutlich erkennbar war, die Stärke erreichte, um sich der festen Assoziation zwischen Ton und richtiger Benennung gegenüber völlig durchsetzen zu können. Vgl. Pr. II, 1; d wird als Es bezeichnet, bei 4,2 Sek. RZ. In Vr. 2 wird über denselben Ton nach der überaus langen RZ. von 55,0 Sek. geurteilt: D oder Es. Darauf folgen in Vr. 3, 4 und 5 nur noch richtige Urteile.

3. Die Fehler, die sich durch sämtliche Vr. hindurchziehen, bezeichne ich als konstante Fehler. Die Beispiele hierfür sind zahlreich.

Beispiel R. VI

Pr. RT. F.
I E, f
VIII E, f
gis''' g
cis'''' g
b''' a
IX Fis, g
Gis a
IX B h
cis''' d
*X Fis, g
XI c' c
F' fis
XVIII Dis, e
*XIX Fis'''' g
XX f' fis
fis'''' f
cis c
d'' es
*XXII fis g
H, c
Cis, d

Eine besondere Beachtung verdienen die mit einem Stern ausgezeichneten Pr., da die betreffenden Vr. nicht, wie die übrigen, in geschlossener Folge an einem Tage, sondern an zwei durch längere Zeiträume getrennten Terminen aufgenommen wurden, so daß hier die Konstanz der Fehler besonders augenfällig hervortritt.

Pr. XI Vr. 1 u. 2 aufgenommen am 9. Februar
Vr. 3-5 aufgenommen am 16. Februar
Pr. XIX Vr. 1-3 aufgenommen am 12. Januar
Vr. 4 u. 5 aufgenommen am 16. Januar
Pr. XXII Vr. 1 u. 2 aufgenommen am 1. März
Vr. 3-5 aufgenommen am 7. März

Der Fehler in Pr. XIX kommt auch in einer sechsten Vr., die am 13. April, also ein Vierteljahr später, aufgenommen wurde, vor.

Bei den Pr. XIX und XXII wurden zudem die letzten Vr. mit Benutzung eines anderen Instrumentes aufgestellt.

Für das Auftreten konstanter Fehlergruppen bieten die Pr. ebenfalls Beispiele.

Beispiel R. VII

Pr. RT. Gruppe F. Gruppe
I B, B h h
V C, C a cis
VIII A1 A b b
XI cis cis' d d
XV F, Fis, ges g
XI h h' c c

s. obige Bemerkung zu Pr. XI

Selbst für eine dreiteilige Gruppe findet sich ein Beispiel: Pr. XX; H, H und h = C C C.

C. bezüglich der Anzahl und zeitlichen Folge der Tonurteile

lassen sich die Fehler einteilen in 1. unitonale, 2. bitonale, 3. tritonale Einzelfehler und 1. unitonale, 2. bitonale, 3. tritonale und 4. tetratonale Fehlergruppen.

1. Ein unitonaler Einzelfehler liegt vor, wenn ein RT. einmal mit einem falschen Namen belegt wird. Diese Fehler decken sich mit den vorher als singulär bezeichneten.

2. Um einen bitonalen Einzelfehler handelt es sich, wenn ein und derselbe RT. in unmittelbar aufeinander folgenden Urteilen zweimal fehlerhaft bezeichnet wird.

Beispiel R. VIII

Pr. Vr. RT. F.
I 1 f'''' fis c
III 3 D, es b
IV 3 gis'''' a g
IX 1 g'' es as
XI 1 A,, b cis
XIII 1 c, e dis
1 B,, h c
XVII 5 h''' c e
2 E h b
XVII 3 Cis, h e
3 A,, e f
XIX 4 dis d cis
4 f e g
5 E g gis
XX 5 h''' cis gis
XXII 1 Gis a g
1 g'''' h b
2 c'''' h b

3. Für den tritonalen Einzelfehler, der also darin besteht, daß ein Reizton drei unmittelbar aufeinander folgende falsche Benennungen erfährt, findet sich nur ein Beispiel. Vgl. Pr. XVII, 3; gis'''' = G F C.

1. Unitonal ist eine Fehler gruppe , wenn ein und derselbe Ton in zwei oder mehreren Vr., also in mehreren zeitlich getrennten Urteilen, in gleicher Weise falsch benannt wird. Es erübrigt sich hierfür Beispiele anzuführen, da sich diese Fehlergruppe mit den perseverierenden und konstanten Fehlern deckt.

2. Eine bitonale Fehlergruppe liegt vor, wenn ein und derselbe Ton in zwei oder mehreren Vr. mit zwei falschen Namen bezeichnet wird.

Beispiel R. IX

Pr. Vr. RT. F.
I 3 5 - - - a'''' g as
IV 1 4 - - - dis'''' e d
VIII 3 5 - - - c''' cis g
XVI 1 2 - - - g'''' fis as
1 2 - - - A, as b
2 3 - - - Dis, e d
XVII 1 3 - - - C h gis
X 2 3 5 - - C''' h cis
VIII 1 3 4 5 - Dis, e f
X 1 2 4 5 - e''' es f
XIX 1 2 3 5 - Fis g f
VIII 1 2 3 4 5 Gis, g b
X 1 2 3 4 5 E, fis f
1 2 3 4 5 fis'' f g
1 2 3 4 5 a''' gis b
XVIII 1 2 3 4 5 A,, h b

3. Bei der tritonalen Fehlergruppe entfallen drei verschiedene Fehler in drei oder mehreren Vr. auf ein und denselben Ton.

Beispiel R. X

Pr. Vr. RT. F.
I 1 2 4 - - Dis, f e d
3 4 5 - - D, f c cis
2 3 5 - - Fis, g f e
II 3 4 5 - - a'''' g gis fis
IX 2 4 5 - - c'''' h gis d
XX 3 4 5 - - F, g a fis
1 2 3 - - b''' c fis a
V 1 3 4 5 - h''' a e d
XI 1 2 3 4 - c cis h b
VIII 1 2 3 4 5 Cis, d e b
X 1 2 3 4 5 B,, cis c a
XI 1 2 3 4 5 C, des es d


4.  Beispiele für die tetratonale Fehlergruppe

Beispiel R. XI

Pr. Vr. RT. F.
V 1 3 4 5 - gis'''' c g a e
XIX 1 2 3 5 - b''' g c cis a
1 2 3 4 - A, b gis h d
XX 1 2 3 4 - Fis, a h g c
XXI 1 2 3 4 - C, h gis des c
V 1 2 3 4 5 fis'''' f cis e c

Für den noch möglichen Fall, daß ein und derselbe Ton in jeder der fünf Vr. mit einem anderen fehlerhaften Namen belegt werde, bieten die Pr. kein Beispiel.

D. bezüglich ihrer Stellung

1. Isolierte Fehler

Steht ein Fehler innerhalb einer völlig fehlerfreien Umgebung, so bezeichne ich ihn als einen isolierten Fehler. Die Pr. sind reich an Fehlern dieser Art.

Beispiel R. XII

Pr. Vr. RT. F.
I 5 gis'' a
II 1 d es
3 fis g
3 a h
IV 2 e fis
1 Fis g
V 1 e f
1 d' es
VII 1 e'' es
1 a b
2 g''' as
3 a' g
VIII 1, 2, 3 d es
3 e es
3 gis c
4 b' g
XI 5 fis'' g
5 g' gis
1, 2 f'' fis
XIII 2, 3 f'' fis

2. Gruppenfehler

a) innerhalb ein und derselben Oktave

Achtet man auf die Fehler innerhalb einer O., so ergeben sich 1. chromatische, 2. homogene und 3. heterogene Fehlergruppen. Da bei allen dreien die aus zwei Tönen bestehende Gruppe überaus häufig ist, werden als Beispiele nur drei und mehrgliedrige Gruppen geboten.

aa) Bei der chromatischen Gruppe bilden die Fehler eine geschlossene chromatische Tonfolge.

Beispiel R. XIII

Pr. Vr. F.-Gruppe O.
X 1 es e f - - - - - - - - - Kl.
2 fis g gis - - - - - - - - - Gr.
XI 5 f fis g - - - - - - - - - Kl.
5 cis d dis - - - - - - - - - Kl.
XVII 1 a b h - - - - - - - - - '''
XVIII 1 e f fis - - - - - - - - - C.
4 b h c - - - - - - - - - S.C.
XIX 3 cis d dis -         - - - - ''
XX 1 d es e -         - - - - '''
X 4 e f fis g gis -     - - - - Gr.
XI 1 f fis g gis a -     - - - - C.
1 d es e f fis -     - - - - Kl.
1 cis d dis e f fis g gis - - - - Gr.
1 cis d dis e f fis g gis gis¹ b h c '

¹Das zweite gis istrichtig bestimmt.

bb) Eine homogene Fehlergruppe entsteht, wenn mehrere chromatisch aufeinander folgende RT. mit ein und demselben fehlerhaften Namen bezeichnet werden. Oft schließt eine solche Folge den richtig bestimmten Ton mit ein. Er ist in den Beispielen durch ein Sternchen kenntlich gemacht.

Beispiel R. XIV

Pr. Vr. F.-Gruppe O.
VIII 1 g *g g - - '''
XII 1 as *as as - - ''''
XVI 1 fis *fis fis - - ''''
XVII 3 gis *gis gis - - Gr.
4 gis *gis gis - - Gr.
XIX 3 g g g - - ''''
XX 2 c c c - - C.S.
XXII 5 g g g - - C.
VIII 1 f f *f f - C.
IX 3 d *d d d - ''''
5 d d *d d - ''''
XII 1 as as *as as - C.
1 as as *as as - Gr.
XIX 1 g g g g - ''''
XXI 1 a *a a a - C.
XXII 1 c c c c - ''''
XIX² 6 g g *g g g ''''

²Vr. 6 wurde nicht in die Aufrechnung einbezogen.

cc) bei der heterogenen Fehlergruppe, die am häufigsten vorkommt, bilden die Fehler eine regellose Folge.

Beispiel R. XV

Pr. Vr. F.-Gruppe O.
VIII 5 fis e b                   Gr.
V 1 es f f c h               ''''
VII 1 d es es e es               C.
IX 4 d cis cis f e               C.
X 2 a d des e f               C.
XI 3 e g fis a g               ''''
VIII 1 g g a a c gis             ''''
IX 1 d f e d cis a             C.
3 d d dis cis f gis g           C.
XI 3 es d es fis f fis gis           C.
XVII 3 h h e e f dis f           C.
VIII 4 g g g a g c a a g g     ''''
5 g g g b b h b a g b     ''''
X 2 h dis e e f e f fis e e     ''''
XI 4 des *des es fis g as as fis a h h c C.
XX 1 g h g g c g a c g h c c C.

b) innerhalb mehrerer Oktaven

Verfolgt man die Fehler, die auf einen Ton durch mehrere O. hindurch entfallen, so zeigt sich, daß es hier gleichfalls zu homogenen und heterogenen Gruppenbildungen gekommen ist.

aa) Die Protokolle bieten Beispiele für zwei- bis sieben-gliedrige homogene Gruppen, also für alle nur möglichen Fälle dieser Art.

Beispiel R. XVI

Pr. Vr. RT. F.-Gruppe
I 1 b H,, H, H - - - -
II 4 d cis'' cis''' cis'''' - - - -
VII 2 f Fis fis fis' - - - -
IX 3 d Dis, Dis dis - - - -
3 es E e e' - - - -
5 b H, H h - - - -
XII 1 g As, As as - - - -
1 g as'' as''' as'''' - - - -
XVI 3 e F f f' - - - -
XVII 5 c H, H h - - - -
VII 1 c des' des'' des''' des'''' - - -
2 c des des' `des'' des''' - - -
XI 1 cis D, D d d' - - -
XIX 1 k c c' c'' c''' - - -
2 a B b b' b'' - - -
IX 1 cis D d d' d'' d''' - -
1 gis A, A a a' a'' - -
1 b H h h' h'' h''' - -
2 gis A, A a a' a'' - -
XI 1 f Fis, Fis fis fis' fis'' - -
XIX 1 cis d d' d'' d''' d'''' - -
IX 1 es E e e' e'' e''' e'''' -
XI 1 h C,, C, c c' c'' c'' -
XX 2 h C,, C, C c c' c'' -
5 h C, C c c' c'' c''' -
IX 3 cis D, D d d' d'' d''' d''''
XI 1 e F, F f f' f'' f''' f''''
2 b H,, H, H h h' h'' h'''
XIX 1 fis G, G g g' g'' g''' g''''
XX 3 gis A, A a a' a'' a''' a''''
XIX 6 dis E, E e e' e'' e''' e''''

bb) Beispiele für die heterogene Fehlergruppe im Rahmen aufeinanderfolgender O.

Beispiel R. XVII

Pr. Vr. RT. F.-Gruppe
VII 2 g A, As fis        
XVII 3 a E,,F,, H, Gis        
1 a H,, G, B        
VII 1 g As, Fis f as'      
2 es G, D d fis'      
2 h D,, B, B c      
IX 2 h D,, D G c      
XII 1 a Cis,, As, As b      
XIX 1 gis G, Fis g b'      
IX 3 h Ais c c' cis      
XI 1 a b b' h'' gis''' b''''    
XX 3 g c fis' gis'' fis''' a''''    
5 d c des' es'' cis''' es''''    
XIX 1 e F fis dis' f'' d''' g'''  
3 gis G, G b b' b'' fis'''  
XI 4 a Cis,, B, B b h' as'' b'''
XIX 5 gis A, G fis fis' f'' b''' a''''
XX 5 b A,, A, A c es' e'' a'''

3. Fehlerkorrekturen

a) Nicht korrigierte Fehlerund Intervall gehör

In den weitaus meisten Fällen besitzen die Fehler eine solche Festigkeit, daß die Vpn. an der Richtigkeit ihres Urteils keinen Zweifel hegen. Auf meine hin und wieder bei Fehlern aufgeworfene Frage: "Sind Sie sich Ihres Urteils ganz sicher?" erhielt ich fast regelmäßig eine zustimmende Antwort.

An dieser Stelle mag die Frage erörtert werden, welche Rolle bei einem Absoluthörer das Intervallgehör spielt, wenn es sich um die Erkennung und Korrektur von Fehlern handelt. Man hält es gemeinhin für selbstverständlich, daß mit dem a. G. stets auch ein besonders gutes Intervallgehör verbunden sei. In diesem Sinne schreibt z. B. A. Liebscher (Nr. 14): "Absolutes Tonbewußtsein bedingt stets das relative... Ist relatives Gehör gut, dann ist absolutes stets besser; denn stets schließt das zweite das erste mit ein." Die Richtigkeit dieses Satzes scheint auf der Hand zu liegen, und doch hat mich die Untersuchung eines Besseren belehrt. Sie zeigte, daß ein gutes a. G. sehr wohl in Begleitung eines mangelhaften Intervallgehörs auftreten kann. Einige Beispiele mögen diese Behauptung erhärten.

Frl. Beyer besitzt ein sehr gutes a. G. Sie steht mit ihrem Pr. hinsichtlich der Fehlerzahlen an achter Stelle. Ein mir besonders auffälliger Fehler führte mich darauf, ihr Intervallgehör genauer zu untersuchen. Vgl. Pr. I,1. Der Reizton B wurde fehlerhaft als H bezeichnet. Gleich dahinter folgte als RT. A, der richtig beurteilt wurde. Da der sich aufdrängende Intervallschritt einer kleinen Sekunde nicht herausgehört und zur Korrektur des falsch benannten B benutzt wurde, schlug ich B nochmal an und ließ es erneut benennen. Wieder kam die falsche Antwort: H. Darauf bot ich, außerhalb der Vr., folgende Töne zur Beurteilung:

1. A = Urteil: A, dahinter B = Urteil: H
2. A = Urteil: A, dahinter H = Urteil: C
3. A = Urteil: A, dahinter C = Urteil: Cis

Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß es sich nicht etwa um die SCO. oder CO., sondern um die Gr. O. handelt, in der die rein sinnliche Erfassung der Töne noch keinerlei Schwierigkeiten bereitet.

Am Schluß der Vr. bat ich Frl. Beyer, einige Intervalle lediglich ihrem Intervallcharakter, nicht ihrer absoluten Höhe nach, zu beurteilen. Es handelte sich um folgende Intervalle:

1. A,- C = Urteil: Terz, ob kleine oder große Terz konnte nicht gesagt werden
2. A-c = Urteil: verminderte Quint
3. a-c' = Urteil: kleine Terz
4. A-d = Urteil: kleine Terz

Frl. Beyer korrigierte sich niemals rückwärts auf Grund irgendeines herausgehörten Intervalles. Auch der sich aufdrängende Oktavcharakter zufällig aufeinanderfolgender Töne führte nicht zur Korrektur von Fehlern. Er wurde überhört.

Ein anderes Beispiel. Vgl. Pr. VIII, 1; fis'''' wird von Frl. Keller als Gis bezeichnet. Da die RZ. 4,2 Sek. betrug, fragte ich Frl. K., ob sie etwas unternommen habe, um den Ton zu erkennen. Sie sagte darauf, sie habe von C aus das Intervall gebildet. Die falsche Beurteilung des Intervalles verführte sie also zu einer falschen Tonbezeichnung. Auch Frl. K. beachtete den Intervallcharakter zweier RT. nicht. Sie beurteilte jeden Ton völlig losgelöst von dem vorigen RT. So kam es häufiger vor, daß zwei RT., die keineswegs O. bildeten, der Benennung nach O. hätten sein müssen. Die Vr. sind reich an Beispielen hierfür.

Beispiel E. XVIII

Pr. Vr. 1. RT. 2. RT. 1. Urteil 2. Urteil
VIII 1 H b b b
1 c''' f'''' c c
2 c'' f'''' c c
2 Gis, h' b b
2 Gis g'' gis gis
3 c''' f'''' g g
3 a''' gis'''' a a
3 B fis'''' b b
4 c'' f'''' c c

Auch Pr. IX, 1 bietet ein beredtes Beispiel. Die drei aufeinanderfolgenden RT. cis, fis''', g''' werden nacheinander als D bezeichnet, ohne daß der Versuch einer Korrektur unternommen wurde.

Über ein besonders zuverlässiges a. G. verfügt Herr Mumm. Er steht mit seinem Pr. hinsichtlich der Fehlerzahl an dritter Stelle. Vgl. Pr. XV, 1. Als Herr M. H" und Des, nacheinander, ohne sich zu korrigieren, als Des bezeichnete, meinte ich, daß das Falschurteil auf eine augenblickliche Unaufmerksamkeit zurückzuführen sei. Ich bot deshalb H" und Des, nochmals als RT.; wieder wurde Des, Des geurteilt. Ich wiederholte dieses Tonpaar noch viermal, und immer erfolgten dieselben Urteile.  Darauf bat ich Herrn M., nur auf den Intervallcharakter beider Töne zu achten. Jetzt wurden die Töne als C und Des bezeichnet. In Vr. 4 wurden die beiden Töne Fis und Fis,, die also eine O. auseinander liegen, nacheinander mit Fis und G benannt.

Auch Herr Sager (Pr. XIX, 6) beging eine Anzahl derartiger Fehler. RT. : g" und Fis = Urteil : G und G.

Besonders erstaunlich ist folgender Fehler, bei dem es sich um einen Halbtonschritt in einer leicht zu erkennenden O. handelt.

RT. : fis und g = Urteil : G und G.

Endlich noch ein paar Beispiele aus Pr. XXII.

Beispiel R. XIX

Pr. Vr. 1. RT. 2. RT. 1. Urteil 2. Urteil
XXII 1 H c''' c c
2 Fis, g'' g g
2 cis''' d' d d
3 A f''' b b
4 fis'''' g' g g
4 Fis, g'' g g

Da die Art der Pr.-Anlage die Intervallbeziehungen aufeinanderfolgender RT. leider verdeckt, mußten die Fälle der fraglichen Art besonders protokolliert werden. Die angeführten Beispiele stellen nur Stichproben dar. Um die Versuchszeiten im Interesse der Vpn. nicht gar zu sehr in die Länge zu ziehen, wurde von einer Notierung sämtlicher derartiger Fälle Abstand genommen.

Auf das vorzügliche Intervallgehör und dessen zwangsläufiges Zusammenwirken mit dem a. G. bei anderen meiner Vpn. wurde bereits an früherer Stelle hingewiesen.

In Hinsicht auf diesen Punkt möchte ich als Resultat meiner Untersuchungen zusammenfassend sagen:

Das a. G. schließt keineswegs eo ipso ein ausgezeichnetes Intervallgehör mit ein. Wenn auch beide häufig in enger Verbindung auftreten, so kommen doch oft genug Fälle vor, in denen ein mangelhaftes Intervallgehör neben einem guten a. G. besteht.

Im Hinblick auf die angeführten Beispiele gewinnt die Vermutung an Wahrscheinlichkeit, daß in manchen Fällen ein . etwas unsicheres a. G. für die Beurteilung von Intervallen geradezu ein Hindernis zu bedeuten vermag.

b) Spontane Fehlerkorrekturen

aa) durch zwangsläufige Bildung von Intervallbeziehungen Bei den Vpn. mit einem guten Intervallgehör kommt es häufig zu spontanen Fehlerkorrekturen. Die Beziehungen zum vorigen RT. stellen sich ganz unbeabsichtigt ein und erzwingen geradezu die Korrektur. In diesem Sinne korrigierten sich: Herr Hampf , Herr Kage1, Herr Lindenberg, Frau Weiß-Mann, Frl. Moor, Frau Pos-Carloforti und Frau Stein.

Über welche Entfernungen hin RT. als Intervalle gehört werden, mögen einige Beispiele zeigen.

Beispiel R. XX

Pr. Vr. 1.RT. 1. Urteil 2. RT. 2. Urteil Korrektur Bemerkungen
IV 4 b''' h e''' e b Sprung über ½ O.
XXII 3 g''' a c'' c g Sprung über 1½ O.
XVII 3 a'''' c c'' c a Sprung über 2½ O.
XIII 1 as a f'''' f as Sprung über 4 O.
IV 2 cis'''' d C, c cis Sprung über 6 O.
VII 3 f''''' fis A, a f Sprung über 6 O.

Ist ein Ton falsch bestimmt, so kann dieser Fehler der Anlaß zu einer falschen Korrektur werden. Auch hierfür ein Beispiel:

Pr. XI, 1. Erster RT.: G = erstes Urteil: G
Zweiter RT.: f' = zweites Urteil: Fis

Korrektur: "Danach mußte der vorige Ton Gis sein."

bb) durch erneute absolute Bestimmung

Neben dieser Art Fehler zu berichtigen, kommen auch Korrekturen auf Grund einer erneuten absoluten Tonbestimmung vor.

Vgl. Pr. II, 4; a'''' wird als Gis bezeichnet. Dazu äußerte Herr Burmeister : "Nachdem ich Gis ausgesprochen hatte, kam mir das unbehagliche Gefühl, nein, das ist doch nicht Gis. Hätte ich nur nicht Gis gesagt. Es hat einen größeren Glanz; es muß A sein."

Pr. IV, 1; Fis wird für G gehalten. Herr Hampf : "Jetzt erscheint es mir zu hoch. Es muß Fis sein."

Pr. VII, 3; gis" wird G genannt. Herr Kagel: "Es ist mir, als ob ich mit einem kleinen Hammer sehr schnell von unten herauf über die Saiten streiche. Bei dem gehörten Ton bleibe ich stehen und erkenne, daß es nicht G, sondern Gis ist."

P. XVI, 3; cis'''' = Urteil G. Es wird ein zweiter Tastenanschlag gewünscht. Herr Nerong : "Au, ich kannte ihn zuerst nicht. Es ist Gis."

Pr. XVIII, 4; C = Urteil: Cis. Frl. Runge: "Nein, der Name Gis paßt nicht darauf, es muß C sein."

c) Reaktive Fehlerkorrekturen

Um die Festigkeit der Fehler zu prüfen, wurden in selteneren Fällen Akkorde, meist Dur-Akkorde, in denen der RT. häufig als höchster Ton enthalten war, angeschlagen. Auf diese Weise gelang es fast immer, eine Korrektur des Fehlers herbeizuführen. Es sei bemerkt, daß von meiner Seite niemals Äußerungen über Richtigkeit oder Falschheit des korrigierenden Urteils gemacht wurden.

Ein Dur- oder Mollakkord bietet für die Beurteilung drei oder vier Anhaltspunkte. Die Akkordtöne bilden ein festes Gefüge, in dem jeder nach oben und unten hin gebunden und gestützt erscheint. Ein einzelner Ton kann leicht den Eindruck des Schwankens, der Bewegung, des Flackerns hervorrufen. Mehrfach fiel die Bemerkung: "Der Ton muß sich erst beruhigen." Der ganze Akkord macht den Eindruck des Festen, Unbeweglichen, Stehenden. Es ist daher erklärlich, daß über einen Akkord auch von den Vpn., deren Pr. eine größere Anzahl von Fehlern aufweisen, mit einer viel größeren Sicherheit und Zuverlässigkeit als über Einzeltöne geurteilt wurde.

Einige der vorgenommenen Stichproben seien hierunter mitgeteilt:

Beispiel R. XXI

Pr.

Vr.

RT.

Urteil

Akkord

Korrektur

Anmerkung

IV 1 h cis H-Dur h Wo mehrerer Akkorde angegeben sind, erfolgte die Korrektur erst nach dem letzten Akkord
VII 3 a' g A-Dur a
3 dis'' d Es-Dur dis
5 f'''' e B-Dur, B-Moll, F-Dur f
XII 1 c cis C-Dur c
XVI 1 f'''' fis F-Dur f
4 e'''' es E-Dur e
XIX 5 fis''' g Fis-Dur, H-Dur, D-Dur fis
5 fis'' dis D-Dur, Dominantsept von G-Dur fis
5 f e B-Dur f


IV. Kapitel - Ausfallerscheinungen

1. Das Gefühl bei nicht bestimmbaren Tönen

Wie aus Tabelle 1 Spalte 5 ersichtlich ist, waren nicht sämtliche Vpn. imstande, alle ihnen zur Beurteilung gebotenen RT. mit dem zugehörigen Namen zu bezeichnen. Bei 12 Vpn. kam es zu Ausfallerscheinungen. Gewöhnlich wurde nach einer etwas längeren RZ. erklärt: "Das weiß ich nicht." Auf meine Bitte, wenn möglich, den Ton doch zu bestimmen, erhielt ich zumeist die Antwort: "Ich müßte raten." Es handelte sich dabei nicht um ein Hin- und Herschwanken zwischen zwei dem RT. benachbarten Tönen, sondern um das Gefühl einer gewissen Hilflosigkeit, des "Nichtkönnens", das der Relativhörer allen Tönen der Tonskala gegenüber empfindet, wenn er sie beziehungslos bestimmen soll.

2. Ursachen der Nichtbestimmbarkeit

Es gibt zwei Ursachen, die Ausfallerscheinungen bewirken können.

1. Die rein sinnliche Erfassung des RT. ist durch seine große Tiefe oder Höhe so erschwert und mangelhaft, daß die Vp. zu einem mit einer gewissen Sicherheit als richtig empfundenen Urteil nicht kommen kann.

2. Das musikalische Gedächtnis ist an der Stelle der Ausfallerscheinungen unzuverlässig und unvollkommen, so daß ein sinnlich gut aufgefaßter Ton für unbestimmbar erklärt werden muß.

Die erste Ursache ist mehr anatomisch-physiologischer, die zweite mehr psychischer Natur. Im ersten Falle handelt es sich fast ausschließlich um die Töne der SCO., die unteren der CO. und die der ''''O, im zweiten Falle um die Töne aller übrigen O.

3. Die Lage nicht bestimmbarer Töne

Die Dinge liegen nun keineswegs so, daß ein Ton, der einmal als nicht bestimmbar bezeichnet wurde, sich auch durch alle übrigen Vr. als unbestimmbar hindurchzieht. Es kommt vor, daß er schon in der nächsten Vr. richtig benannt wird. Zumeist jedoch wird er entweder fehlerhaft beurteilt oder eine verlängerte RZ. deutet auf eine bestehende Unsicherheit oder Hemmung hin. Es ist lehrreich, die verschiedenen Beurteilungen, die ein nicht bestimmbarer Ton erfährt, durch sämtliche Vr. zu verfolgen.

Zuerst mögen Beispiele für die Nichtbestimmbarkeit eines Tones wegen mangelhafter sinnlicher Auffassung durch den Gehörapparat folgen.

Beispiel R. XXII

Pr. u. Vr. RT. Urteil ü. RZ. Bemerkungen
VIII
1-5
D -
4,8
b
3,2
d
5,2
d
3,8
d
5,2
Die Umgebung des RT. ist fehlerhaft beurteilt
VIII
1-5
g'''' -
3,0
g
1,6
a
4,8
e
2,2
a
4,2
Die Umgebung des RT. ist fehlerhaft beurteilt
XI
1-5
A,, b, cis
12,2
c
6,8
-
7,2
cis
6,4
-
1,6
 
XI
1-5
B,, des
7,2
h
18,2
c
1,4
d, des
13,2
-
2,4
 
XI
1-5
H,, c
3,2
h, b?
5,2
-
9,2
-
7,2
-
3,2
 
1-5
1-5
a'''' b
8,2
a
1,8
a
5,6
-
5,2
-
4,6
 
XVI
1-3
a'''' -
7,2
a
8,8
g
2,8
- - Vr. 4 und 5 an dem der Vp. eigenen, anders gestimmten Klavier
XVI
1-3
g'''' fis
7,2
as
8,8
-
2,8
- - Vr. 4 und 5 an dem der Vp. eigenen, anders gestimmten Klavier
XVII
1-5
H,, -
4,0
cis
2,2
f
1,0
f
2,8
e
2,0
 
XVII
1-5
a'''' 2 x a
4,2
-
4,2
c
2,2
c
0,8
gis
1,0
In Vr. 4 und 5 wurde absichtlich von jeder Selbstkontrolle abgesehen

Eine größere Beachtung verdienen die Fälle von Nichtbestimmbarkeit, deren Ursachen in der Unzuverlässigkeit des musikalischen Gedächtnisses zu suchen sind, das um so mehr, wenn der nicht bestimmbare Ton in einer völlig fehlerfreien Umgebung steht.

Beispiel R. XXIII

Pr. (Vr. 1-5) RT. Urteil und RZ. Bemerkungen
IV b''' - h b ? b h 2 x b Die Mehrzahl der übrigen RZ. bewegt sich zwischen 0,6-1,0 Sek.
7,6 4,2 3,6 13,0 4,2
VII f' fis fis f - fis2x Nach Anschlagen von F-Dur, B-Dur und d-Moll als f erkannt
3,2 4,2 2,0 6,4 7,2  
Gis, gis a - a gis Falsches Urteil vor und nach dem Nichtbestimmbarkeitsurteil
4,2 4,2 17,2 3,0 4,6  
IX fis fis - fis fis fis Nachdem der Ton wieder erkannt wird, fallen die RZ. von Vr. zu Vr.
0,8 16,2 5,2 2,8 0,8  
Gis, a a - gis a Fallende RZ. nach dem Nichtbestimmbarkeitsurteil
1,2 1,0 8,0 6,0 3,6  
g g g gis - *es 2 x Die Nichtbestimmbarkeit bereitet sich durch einen Fehler und verlängerte RZ. vor
1,0 1,0 3,2 5,6 8,2  
g' g g - gis *es 2 x Die Nichtbestimmbarkeit meldet sich durch Verlängerung der RZ. an
0,8 2,0 15,2 7,8 11,2  
d d d dis - dis Felher und anwachsende R.Zeiten
1,4 2,2 4,2 15,6 2,4  
dis e e e - dis Anwachsende R. Zeiten
0,6 2,4 2,8 15,6 10,8  
fis' fis fis fis - fis Anwachsende R. Zeiten
1,2 3,2 4,2 9,8 0,8  
XVIII D, - d d d d Offenbar nur eine momentane Hemmung
4,8 0,6 1,4 0,8 0,6  
XIX f'' - - fis fis f Beispiel einer sehr starken Hemmung.  Vr. 4 und 5 am eigenen Klavier der Vp.
12,0 12,6 8,8 8,6 2,8  
gis' b - b fis fis Beachtenswert die große Spielraumbreite der Fehler
4,2 13,0 6,2 5,2 12,6  
dis' dis e - dis e od. dis Fehler und Verlängerung der RZ. In Vr. 5 bereitet sich ein neues Nichtbestimmbarkeitsurteil vor
6,8 11,8 7,2 4,2 10,2  
XXII cis''' - d cis cis cis Das Anwaschen der RZ. in den Vr. 3-5 deutet auf ein neues Nichtbestimmbarkeitsurteil  Vr. 3-5 am eigenen Klavier der Vp.
8,8 1,6 1,0 3,2 4,8  
f''' f - b b f 2 x Bemerkenswert für die Unsicherheit der große Fehler b
1,0 4,6 4,0 1,0 5,8  

*2 x hinter einem Ton bedeutet, daß von der Vp. ein zweimaliges Anschlagen der Taste gewünscht wurde.

Auffallend ist in den Pr. von Frl. Knaack die sprungweise Zunahme der Nichtbestimmbarkeitsfälle. Sie steht in einer gewissen Abhängigkeit von den Fehlerzahlen.

Vr. 1 2 3 4 5
Nicht bestimmbare Töne - 2 7 15 13
Fehler 47 46 52 39 43

Ich vermute, daß sich Frl. Knaack bei Abgabe der immer häufiger werdenden Unbestimmbarkeitsurteile unter einem allmählich sich verstärkenden autosuggestiven Zwange gestanden hat. Daß die Ursache lediglich in einer zunehmenden Ermüdung zu suchen ist, halte ich, wie früher schon gesagt, für unwahrscheinlich. Auf meine mehrfach wiederholte, hierauf gerichtete Frage erhielt ich immer die Antwort: "Nein, ermüdet bin ich nicht."

Das Pr. IX wurde am 7. Januar 1928 aufgenommen. Am 27. Februar hatte ich Gelegenheit, Frl. Knaack einige der in Vr. 5 als unbestimmbar bezeichneten Töne erneut als RT. zu bieten. Benutzt wurde hierbei ihr eigenes Instrument, das mit der Normalstimmung ganz unerheblich differierte. Es wurden jetzt alle RT. bestimmt, richtig allerdings nur zwei. Beachtenswert ist die Spielraumbreite der Fehler beim zweimal bestimmten b''' = A-Dis.

RT. und Urteile mögen hierunter folgen:

RT. Urteil
gis' A
b''' A
dis''' A
dis' E
c' C
G, G
D, Dis
b''' Dis

Die erneute Tonbestimmung ist ein Beweis für das Bestehen gedächtnismäßiger Unsicherheiten an den Stellen der Nicht-bestünmbarkeit über einen größeren Zeitraum hinaus. Da sie durch eine umfangreiche Musikbetätigung in der zwischen beiden Gehörsprüfungen liegenden Zeit nicht behoben wurden, scheint mir die Annahme berechtigt, daß wir es hier mit einer Dauererscheinung zu tun haben.

4. Allgemeingültige Regeln

Allgemein kann von den Tönen, deren Nichtbestimmbarkeit psychische Ursachen hat, gesagt werden:

1. Die Nichtbestimmbarkeit eines Tones ist eine Erscheinung, die einen mehr subjektiven, augenblicklichen Hemmungscharakter hat.

2. Ein für nicht bestimmbar erklärter Ton wird bei sich wiederholenden Beurteilungen in der Regel falsch benannt. Die Unsicherheit des Gedächtnisses an den Stellen dieser Töne ist eine Dauererscheinung.

3. Bei mehrfacher Bestimmung dieser Töne bereitet sich das Nichtbestimmbarkeitsurteil häufig durch eine Verlängerung der für diesen Ton benötigten RZ. vor.

4. Ist das Nichtbestimmbarkeitsgefühl überwunden, dann verringern sich in den meisten Fällen nachfolgender Beurteilungen die für diesen Ton benötigten RZ.

V. Kapitel - Die Reaktionszeiten

1. Ihre verschiedene Dauer

a) bei den einzelnen Personen

Wie die Fehlerzahlen unterliegen auch die RZ. erheblichen Schwankungen von Person zu Person. Wenn man die Summe der RZ., die eine jede Vp. für sämtliche 5 Vr. gebrauchte, miteinander vergleicht, ergibt sich, daß die größte dieser Summen fast das Achtfache der kleinsten beträgt.

Folgende Tabelle zeigt sämtliche Pr. geordnet nach der Größe der RZ.-Summen. Die unvollständigen Pr. VI, XII und XIV sind in die Zusammenstellung einbezogen worden. Ihre Fehlerzahlen wurden zum Zwecke der Vervollständigung mit den entsprechenden Faktoren (5/3, 5 und 85/29) multipliziert.

Tabelle VIII.

Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Pr. XIII I III XVIII VI XV V XVI IV XII VIII XX X XXII XVII XXI II IX VII XI XIV XIX
RZ. in Sek. 319,0 369,2 385,8 410,6 456,3 470,6 531,4 718,2 745,6 781,0 811,6 819,2 854,0 866,8 919,4 1059,4 1227,8 1325,0 1702,0 1784,8 2241,6 2504,6

Um die Frage beantworten zu können, ob zwischen den Gesamtfehlerzahlen und den Gesamt-RZ. ursächliche Zusammenhänge bestehen, sei ein jedes Pr. mit dem Rangreihenindex der Fehlerzahlen-Tabelle I und daneben mit dem der obigen Tabelle versehen.

Tabelle IX.

PR. F.-Index RZ.-Index
I 8 2
II 7 17
III 2 3
IV 4 9
V 11 7
VI 1 5
VII 17 19
VIII 15 11
IX 18 18
X 14 13
XI 21 20
XII 16 10
XIII 5 1
XIV 22 21
XV 3 6
XVI 10 8
XVII 13 15
XVIII 6 4
XIX 20 22
XX 19 12
XXI 9 16
XXII 12 14

Die Zusammenstellung ergibt, daß auf die Pr. mit den geringsten Fehlerzahlen die kürzesten, auf die mit den mittleren Fehlerzahlen die mittleren und auf die mit den größten Fehlerzahlen die längsten RZ. entfielen.

In den Pr. III, VII, X, XI, XIV, XVI, XVII, XVIII, XIX und XX zeigen die Positionswerte eine bemerkenswerte Annäherung. In Pr. IX kommen sie sogar zur Deckung. Die auffällige Differenz in Pr. II bildet keine Ausnahme. Vgl. S. 21.

Aus der Zusammenstellung läßt sich folgende Regel ablesen:

Je zuverlässiger das a. G. eines Menschen ist, desto kürzer sind seine für die Tonerkennung benötigten RZ.

b) bei den einzelnen Versuchsreihen

Die verschiedene Dauer der RZ. für die einzelnen Vr. mag ebenfalls durch eine Tabelle veranschaulicht werden.

Tabelle X.

Pr. XIII I III XVIII VI XV V XVI IV XII VIII XX X XXII XVII XXI II IX VII XI XIV XIX Sa. mit Auslassung von Pr. VI und XII
Vr. 1 72.8 82.6 97.2 125.2 111.8 85.2 135.4 230.0 174.0 156.2 144.4 254.8 178.2 211.2 235.2 224.0 339.8 170.4 428.8 282.4 154.4 524.2 4150.2
Vr. 2 59.2 75.0 86.6 73.0 86.6 87.6 111.4 182.8 153.6 - 142.0 196.8 146.4 165.6 275.0 177.2 432.2 215.2 385.0 37.0 161.6 285.0 4090.2
Vr. 3 72.6 72.0 68.4 68.0 75.4 81.0 98.2 133.6 136.8 - 175.0 144.0 162.2 143.6 136.0 211.8 243.0 257.8 315.2 324.4 159.6 539.2 3542.4
Vr. 4 59.0 71.2 61.6 72.2 - 108.2 98.8 94.8 144.2 - 178.4 105.8 182.0 180.8 177.6 233.4 103.4 364.6 284.6 385.0 129.0 420.8 3456.2
Vr. 5 55.4 68.4 72.0 72.2 - 108.6 87.6 77.0 137.0 - 171.8 177.8 185.2 165.6 95.6 213.0 109.4 317.0 288.4 413.2 160.2 435.4 3340.8

Die von einer Schlangenlinie umrahmten Vr. standen unter veränderten Versuchsbedingungen. Entweder sind sie an den der betreffenden Vpn. gehörigen Instrumenten, oder unter Verzicht auf jede von den Vpn. sonst ausgeübte Selbstkontrolle aufgenommen. Bei diesen Pr. sind die Schwankungen erheblicher, bei den übrigen dagegen zumeist unbedeutend.

Die Gesamtsummen der RZ. nehmen beständig ab. Sie zeigen ebenso, wie die Gesamtsummen der entsprechenden Fehlerzahlen, daß eine Ermüdung durch die verhältnismäßige Länge der Versuche keine merkliche Rolle gespielt haben kann. Sie wäre in einer Verlängerung der RZ. zum Ausdruck gekommen.

c) bei den einzelnen Oktaven

Aufschlußreicher ist die Verteilung der RZ. auf die einzelnen Oktaven.

Tabelle XI.

Pr. XIII I III XVIII VI XV V XVI IV XII VIII XX X XXII XVII XXI II IX VII XI XIX Sa. in Sekunden
SCO. 102,4 99,2 194,4 125,6 118,4 130,4 158,4 171,2 306,4 57,6 282,4 297,6 222,4 129,6 216,8 149,6 194,2 226,4 208,8 418,4 280,8 4091,0
CO. 57,8 73,6 82,0 80,0 67,4 103,6 114,6 120,8 142,4 27,6 170,0 180,0 183,0 109,6 214,8 190,8 206,0 279,6 306,4 297,0 342,8 3350,6
Gr.O. 46,0 53,0 43,8 58,0 32,8 61,2 62,8 93,8 68,0 15,2 109,4 134,2 101,0 107,6 117,0 108,0 145,8 173,2 294,8 254,2 359,2 2439,0
Kl.O. 38,8 42,8 42,4 41,0 28,6 58,0 49,0 76,4 105,2 23,8 70,2 103,4 95,6 115,4 78,4 84,6 194,8 187,4 302,8 252,6 343,4 2334,6
'O. 37,0 42,0 41,0 47,4 26,8 53,0 45,6 69,2 64,6 21,0 63,2 132,0 91,8 67,6 60,2 65,6 157,8 155,4 180,2 279,2 320,8 2021,4
''O. 37,2 42,4 45,2 54,2 25,8 51,8 50,6 81,4 75,8 14,2 74,8 113,8 81,2 100,0 74,4 95,2 155,6 166,2 220,0 187,6 385,4 2132,8
'''O. 36,4 43,8 45,6 53,2 26,4 58,2 72,2 94,4 107,8 14,6 99,4 151,6 102,4 172,2 129,4 131,2 177,2 166,8 186,2 203,6 342,0 2414,2
''''O. 48,7 56,2 44,0 48,7 43,6 62,4 116,4 166,8 126,2 30,5 184,8 204,0 170,8 181,2 241,2 127,6 133,0 169,2 191,2 247,1 283,0 2876,6

Pr. XIV ist in die Zusammenstellung nicht aufgenommen worden, da Rainer Mulzer die Töne von nur drei O. bestimmt hat.

Wie die Fehlersummen wurden auch die RZ. der SCO. mit dem Faktor 12/3, die der ''''O. mit 12/10 multipliziert, da diese O. auf dem Klavier unvollständig sind. Auch hier handelt es sich bei den errechneten Zahlen um untere Grenzwerte.

Eine Durchsicht der Einzel-Pr. lehrt, daß fast regelmäßig die kürzesten RZ. auf die ' und auf die ''O., die längsten auf-die SCO. und die ''''O. entfallen. Die merkwürdigste Ausnahme bildet Pr. XI, bei dem die 'O. längere RZ. beanspruchte als die Gr. O., die Kl. O., die ''O., die '''O. und die ''''O. Damit übereinstimmend entfiel auf die 'O. eine größere Fehlerzahl als auf die übrigen soeben angeführten O. Vgl. Kap. VI, 2!


Fig. 3

Um eine allgemeingültige Einsicht in das Verhältnis der RZ. zu den einzelnen O. zu gewinnen, wurden auch die auf die O. entfallenden RZ. sämtlicher Pr. addiert. Werden doch durch diese Addition, wie schon an anderer Stelle bemerkt, iä~C~6F alle individuellen Verschiedenheiten eingeebnet.
Eine Kurve mag Abfall und Anstieg der RZ.-Summen sämtlicher Pr. veranschaulichen (Fig. 3).

Die Kurve, obwohl etwas flacher, zeigt in ihren Grundzügen denselben Verlauf wie die Fehlerkurve auf S. 32.

Wenn man die einzelnen O. dem Anwachsen der RZ. entsprechend durch Richtungslinien verbindet, so ergibt sich dasselbe Bild wie bei der "Zugrundelegung" der Fehlerzahlen.


Die auf Seite 32 aufgestellte Regel: "Die Töne der 'O. werden am leichtesten erkannt; darauf folgen, bei Anordnung aller O. von unten nach oben in einer waagerechten, geraden Linie, gleichmäßig abwechselnd, je eine O. rechts, dann eine links"-- erfährt somit durch die RZ. ihre Bestätigung und Sicherung.

Durch die Übereinstimmung im Anwachsen der Gesamtfehlerzahlen und Gesamt-RZ. für die einzelnen O. ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Erkennungsschwierigkeit und RZ. erwiesen.

Es hat der Satz Gültigkeit:

Je besser ein Ton erkannt wird, um so kürzer ist die dafür benötigte Reaktionszeit.

d) bei den einzelnen Tönen

Tabelle XII.

Pr. I II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX XXI XXII Sa. in Sek.
C 26,6 75,0 46,8 59,0 38,2 21,2 117,4 73,8 85,8 77,0 197,0 16,2 35,2 91,4 34,2 56,6 104,8 44,2 179,6 96,2 65,8 45,4 1587,4
Cis 33,0 119,6 28,2 71,4 49,0 21,0 158,2 70,2 103,2 79,6 145,4 10,0 25,8 72,9 49,4 68,4 69,6 37,8 193,0 82,2 104,2 104,2 1696,2
D 31,0 149,6 29,2 49,6 38,8 22,0 132,2 69,4 114,2 77,0 124,6 20,8 29,8 125,1 34,4 62,4 101,8 30,0 201,0 90,4 82,2 57,4 1672,9
Dis 32,6 138,2 31,6 60,8 56,8 25,4 167,2 77,0 130,8 71,8 110,0 11,2 27,8 63,3 38,4 59,4 64,4 25,4 254,6 97,0 93,0 62,2 1698,9
E 29,4 92,2 33,0 76,2 35,4 18,2 168,6 55,2 69,8 75,0 118,2 5,8 22,2 70,8 31,6 57,6 65,4 26,4 213,2 78,6 57,6 48,6 1448,6
F 30,0 81,2 24,4 29,6 43,2 20,4 132,2 49,2 79,0 56,6 156,4 13,4 21,8 97,2 32,4 46,8 61,4 35,2 237,6 81,8 51,2 78,8 1459,8
Fis 29,8 91,4 24,2 72,8 38,0 21,8 146,8 60,4 115,4 67,0 128,0 11,4 22,0 100,5 39,0 61,2 75,2 37,4 196,6 91,8 51,2 79,0 1560,9
G 27,0 99,6 27,8 48,2 39,8 15,8 148,8 65,6 170,0 62,6 147,4 8,0 21,6 77,4 29,8 62,2 93,6 25,2 151,4 88,0 110,0 47,0 1566,8
Gis 28,8 90,6 27,4 60,0 39,8 21,0 126,2 74,2 95,2 74,8 198,6 23,2 21,2 96,4 41,8 46,2 73,4 30,4 234,0 78,6 66,6 93,0 1641,4
A 27,0 94,2 22,4 42,4 44,6 18,8 112,4 79,6 114,0 65,4 153,6 9,6 23,6 69,4 30,0 72,8 74,3 35,0 213,6 75,4 31,4 83,0 1492,5
B 33,8 90,0 34,4 89,6 38,0 29,4 154,6 56,4 98,6 67,8 148,6 19,4 29,0 59,6 56,4 47,2 72,4 31,8 233,8 93,0 52,2 62,2 1598,2
H 32,2 83,6 27,2 63,0 57,4 26,0 123,0 69,4 112,6 56,6 122,8 6,4 31,6 61,2 44,4 66,6 45,0 37,4 166,0 78,4 39,0 88,2 1438,0

Betrachtet man die Gesamt-RZ. für die einzelnen Töne in folgender Gegenüberstellung:

C : Cis = 1587,4 Sek. : 1696,3 Sek.
D : Des = = 1672,9 Sek. : 1696,3 Sek.
D : Dis = 1672,9 Sek. : 1698,9 Sek.
E : Es = = 1448,6 Sek. : 1698,9 Sek.
F : Fis = 1459,8 Sek. : 1560,9 Sek.
G : Ges = = 1566,8 Sek. : 1560,9 Sek.
G : Gis = 1566,8 Sek. : 1641,4 Sek.
A : As = = 1492,5 Sek. : 1641,4 Sek.
A : Ais = 1492,5 Sek. : 1598,2 Sek.
H : B = = 1438,0 Sek.: 1598,2 Sek.

so zeigt sich auch hier, daß die Gesamt-RZ.-- bis auf das Verhältnis von G-Ges-- die aus den auf die einzelnen Töne entfallenden Fehlersummen abgeleitete Regel bestätigen: "Die sieben Töne der G-Dur-Tonleiter genießen hinsichtlich ihrer Erkennbarkeit gegenüber den von ihnen durch einfache Versetzungszeichen (#, b) abgeleiteten Tönen, sofern diese nicht selbst wieder der G-Dur-Leiter angehören (his = c, eis = f, ces = h, fes = e) eine unbestrittene Vorrangstellung". Vergl. S. 34.

Es entfielen an Gesamt-RZ. im Durchschnitt auf einen Ton einer weißen = 1523,7 Sek., auf einen Ton einer schwarzen Taste = 1639,1 Sek.
Im einzelnen zeigen die Pr. mannigfache Abweichungen. Einen schnellen Überblick über diese individuellen Verschiedenheiten gewähren die in folgendem Abschnitt aufgestellten Tonrangreihen.

2. Kombinierte Tonrangreihen

Die hierunter aufgeführten kombinierten Tonrangreihen für die einzelnen Vpn. sind nach folgendem Verfahren aufgestellt: Die zwölf Töne der Tonleiter wurden nach den auf sie entfallenden Fehlerzahlen der fünf Vr. geordnet und mit einem Stellenwert versehen. Der Ton mit der kleinsten Fehlerzahl bzw. ohne jeden Fehler erhielt den Stellenwert 1, der mit der nächsthöheren Fehlerzahl den Stellenwert 2 u. s. f. Töne mit derselben Fehlerzahl erhielten auch denselben Stellenwert. Die Anzahl der Stellenwerte ist mit der Anzahl der Fehler gegeben. Sie ist also bei den einzelnen Vpn. verschieden. Der höchste Stellenwert beträgt 12.
Entsprechend der aus den Fehlerzahlen gewonnenen Anzahl der Stellenwerte wurden die Töne, nachdem sie unter Zugrundelegung der RZ. in eine zweite Reihe gebracht worden waren, mit einem zweiten, aus den RZ. gewonnenen Stellenwert versehen. Zu diesem Zwecke mußten sehr nahe zusammenliegende RZ. unter Vernachlässigung der Sekundenbruchteile oft zu einer Gruppe zusammengefaßt werden. Die Anzahl dieser Stellenwerte wurde der aus den Fehlerzahlen abgeleiteten angeglichen. Wird diese Angleichung nicht vorgenommen, dann kann ein Ton durch das Übergewicht des Stellenwertes der RZ. leicht in eine Position abgedrängt werden, die im Hinblick auf die Fehlerzahl nicht zu rechtfertigen ist.

Durch Addition beider Stellenwerte wurde ein dritter, für die Aufstellung der kombinierten Tonrangreihen maßgebender Stellenwert errechnet. Die kombinierte Tonrangreihe zeigt demnach an ihrer Spitze den hinsichtlich des aus Fehlerzahl und RZ. errechneten Stellenwertes bevorzugtesten Ton. Am Ende steht dementsprechend der Ton, dessen aus der Addition gewonnener Positionsindex den höchsten Wert darstellt. In der kombinierten Reihe ist der niedrigste Stellenwert 2, der höchste 24.

Es soll nicht verkannt werden, daß namentlich bei größeren Sprüngen der Fehlerzahlen und RZ. die dazugehörigen Positionsindices nur scheinbar von Stufe zu Stufe gleichmäßig ansteigende Werte darstellen. Doch hat das beschriebene Verfahren den Vorteil, schnell einen Überblick über den Zusammenhang zwischen Fehlerzahlen und RZ. und die für jede Vp. gültige Tonrangordnung zu gewähren.

Die erste Zahlenreihe gibt den aus den Fehlerzahlen, die zweite den aus den RZ. und die dritte den aus der Addition beider gewonnenen Stellenwert an. Die letzte Spalte enthält die kombinierte Tonrangreihe.

Tabelle XIII.

Pr. C Cis D Dis E F Fis G Gis A B H
I 1 6 2 3 7 4 5 1 4 2 8 6
1 7 5 6 4 4 4 2 3 2 8 6
2 13 7 9 11 8 9 3 7 4 16 12
C G A D, Gis F Dis, Fis E H Cis B    
 
II 4 1 8 3 3 5 5 3 2 7 5 6
1 6 8 7 4 2 4 5 3 4 3 2
5 7 16 10 7 7 9 8 5 11 8 8
C, Gis Cis, E, F G, H, B Fis Dis A D          
 
III 5 3 4 1 6 3 2 1 3 1 6 2
6 2 3 3 4 1 1 2 2 1 5 2
11 5 7 4 10 4 3 3 5 2 11 4
A Fis, G Dis, F, H Gis, Gis D E C, B          
 
IV 6 4 1 3 3 1 5 2 2 2 5 4
4 5 3 4 5 1 5 3 4 2 6 4
10 9 4 7 8 2 10 5 6 4 11 8
F D, A G Gis Dis E H Cis Ci, Fis B    
 
V 8 2 6 7 5 3 9 1 6 5 6 4
3 7 3 8 1 5 2 4 4 6 2 9
11 9 9 15 6 8 11 5 10 11 8 13
G E F, B Cis, D Gis C, Fis, A H Dis        
 
VI 2 2 3 1 1 1 2 1 2 1 4 3
3 3 3 4 2 3 3 1 3 2 4 4
5 5 6 5 3 4 5 2 5 3 8 7
G E, A F C, Cis, Dis, Fis, Gis D H B          
 
VII 8 4 2 7 6 6 5 7 2 2 3 1
2 7 4 8 8 4 5 5 3 1 6 3
10 11 6 15 14 10 10 12 5 3 9 4
A H Gis D B C, F, Fis Cis G E Dis    
 
VIII 3 4 3 3 4 1 5 2 7 6 6 6
6 5 5 7 2 1 3 4 6 7 2 5
9 9 8 10 6 2 8 6 13 13 8 11
F E, G D, Fis, B C, Cis Dis H Gis, A          
 
IX 3 7 2 6 4 1 4 5 8 2 6 5
3 5 6 7 1 2 6 8 4 6 4 6
6 12 8 13 5 3 10 13 12 8 10 11
F E C D, A Fis, B H Cis, Gis G, Dis        
 
X 8 5 6 9 3 2 4 5 2 7 8 1
8 9 8 6 7 1 4 2 7 3 5 1
16 14 14 15 10 3 8 7 9 10 13 2
H F G Fis Gis E, A B Cis, D Dis      
 
XII 5 1 4 4 1 5 3 6 1 5 5 2
4 2 5 3 1 3 3 2 6 2 5 1
9 3 9 7 2 8 6 8 7 7 10 3
E Cis, H Fis Dis, Gis, A F, G C, D B          
 
XIII 6 7 4 5 1 4 2 5 3 4 8 5
8 4 6 5 2 2 2 2 1 3 6 7
14 11 10 10 3 6 4 7 4 7 14 12
E Fis, Gis F G, A D, Dis Cis H B, C        
 
XIV 4 7 3 7 3 6 7 5 7 1 7 2
4 2 7 1 2 5 6 3 5 2 1 1
8 9 10 8 5 11 13 8 12 3 8 3
A, H E C, Dis, G, B Cis D F Gis Fis        
 
XV 1 3 4 1 2 6 6 1 3 1 7 5
3 6 3 4 2 2 4 1 4 1 7 5
4 9 7 5 4 8 10 2 7 2 14 10
G, A C, E Dis D, Gis F Cis H, Fis B        
 
XVII 8 7 5 8 4 1 3 5 1 6 7 2
8 4 7 3 3 2 5 6 5 5 5 1
16 11 12 11 7 3 8 11 6 11 12 3
F, H Gis E Fis Cis, Dis, G, A D, B C          
 
XVIII 9 10 4 5 2 8 3 1 6 7 6 4
10 9 4 2 3 7 8 1 5 7 6 8
19 19 8 7 5 15 11 2 11 14 12 12
G E Dis D Fis, Gis , H A F C, Cis      
 
XX 5 7 7 3 2 7 4 6 9 1 8 10
9 4 6 10 2 3 7 5 2 1 8 2
14 11 13 13 4 10 11 11 11 2 16 12
A E F Cis, Fis, G, Gis H D, Dis C B        
 
XXI 6 7 3 2 3 4 5 9 8 1 5 2
5 8 6 7 4 3 3 9 5 1 3 2
11 15 9 9 7 7 8 18 13 2 8 4
A H E, F Fis, B D, Dis C Gis, Cis G        
 
XXII 1 8 2 3 5 6 9 5 7 10 4 11
1 11 4 5 3 6 7 2 10 8 5 9
2 19 6 8 8 12 16 7 17 18 9 20
C D G DIs, E B F Fis Gis A Cis H  

Unter 19 Pr. erscheinen in diesen kombinierten Rangreihen

A = 6 mal als bevorzugteste Töne
F und G = 4 mal
C und H = 3 mal
E = 2 mal
Gis = 1 mal

Cis, D, Dis, Fis und B stehen überhaupt nicht an der Spitze. Am Ende der Reihe, also als am schlechtesten erkannte Töne, kommen vor:

B = 8 mal
C = 5 mal
Dis = 3 mal
G = 2 mal

Cis, D, Fis, Gis, A und H je einmal.
E und F sind an diesem Platze nicht vertreten.

Allgemein kann demnach gesagt werden, daß A der am besten, B der am schlechtesten erkannte Ton ist.

Die bevorzugte Stellung des A ist leicht verständlich, da A der feste Pol der Normalstimmung ist. Die meisten zum praktischen Gebrauch hergestellten Stimmgabeln sind auf A abgestimmt. Das A haben viele Menschen, namentlich Musiker, die ihr Instrument einstimmen müssen, mehr oder weniger sicher im Ohr, ohne im übrigen das totale a. G. zu besitzen.

Die schlechte Stellung des B scheint mir dadurch, daß dieser Ton,-- nach Ausschaltung des A2,-- als tiefster Ton des Klaviers schwer aufzufassen ist, nicht völlig befriedigend erklärt. Vielleicht spielt hier eine diesem Tone gegenüber gefühlsmäßig ablehnende, mit dem Verstande schwer erfaßbare seelische Einstellung eine untergründige Rolle. Es sei darauf verwiesen, daß das B auch in dem von Herrn Prof. Anschütz untersuchten Fall Dörken eine Sonderstellung einnimmt. Herr D. bezeichnet es als einen Eckpfeiler. Bei seinen Farbphotismen kommt dem B eine aufteilende Funktion zu (vgl. Nr. 3, S. 30). Man wird überhaupt die Verschiedenartigkeit einer meist wohl nur recht undeutlich gefühlten psychischen Einstellung den einzelnen Tönen gegenüber als die eigentliche Ursache der unterschiedlichen Sicherheit bei der Tonbeurteilung und damit der Tatsache des Bestehens von individuell differenzierten Tonrangreihen schlechthin annehmen müssen.

Es hat den Anschein, als ob die Tonauffassung und im Zusammenhang damit die gedächtnismäßige Tonaneignung von einem unterbewußten Ordnungsprinzip, einer individuell gestalteten Systematik beherrscht werde. Etwas Ähnliches scheint auch H. Hein vorzuschweben, wenn er meint, daß sich aus seinen Versuchen das Vorhandensein eines latenten, funktionellen absoluten Tonbewußtseins wohl erschließen lasse (vgl. Nr. 8, S. 160).
Die Erscheinung, daß der schlechtest- von dem besterkannten Tone um 1/2 Tonschritt entfernt liegt, ist in den Pr. dreimal rein verwirklicht. Vgl. Tonrangreihe X, XX und XXII, nicht ganz rein in Tonrangreihe I, IV und XV. Die Entfernung um einen Tritonus weisen die Tonrangreihen VII, XII und XIII auf.

VI. Kapitel - Die Sonderfälle

1. Der Fall Ocke Nerong und Robert Sager (Doppelstimmung)

Es scheint mir kein Zufall zu sein, daß das wissenschaftliche Interesse für die Gabe des a. G. erst recht eigentlich erwachte, nachdem die sog. Normalstimmung (a' = 435 Doppelschwingungen) durch die Wiener Stimmtonkonferenz im Jahre 1885 in fast allen Kulturländern zur alleinigen Geltung gelangt war. Erst durch die Einführung der Normalstimmung, die dem Chaos der in den verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten unterschiedlichen Stimmungen ein Ende bereitete, konnte der Vorteil, der mit dem Naturgeschenk des a. G. verbunden ist, recht in die Erscheinung treten. Es spielt seit 1885 für einen mit dieser Gabe bedachten Dirigenten keine Rolle, ob er ein Konzert in Berlin, Paris, New York oder sonstwo dirigiert, überall wird er, was Ton- und Tonarterkennung anbelangt, dem Orchester gegenüber eine von der Partitur unabhängige, überlegene Sicherheit besitzen. Bei Geltung verschiedener Stimmungen dagegen hätte man ein gewisses Recht, in dem absoluten Tongedächtnis eher einen Nachteil zu erblicken, da eine von der im Ohre fixierten wesentlich abweichende und ungewohnte Stimmung die Zuverlässigkeit der Tonbeurteilung erheblich einschränken müßte.

Es drängt sich die Frage auf: Wie verhielt sich das Ohr der mit dem a. G. begabten Menschen vor Einführung der Normalstimmung den verschiedenen Stimmungen gegenüber? Zeugnisse hierüber gibt es m. W. nicht. Man könnte mit einigem Rechte glauben, daß die Verschiedenartigkeit der Stimmungen die Entwicklung und Festigung des a. G. verhindern oder doch stark beeinträchtigen müßte. Gewiß läßt sich auf diese Frage nach Vornahme zeitraubender Experimente eine bündige Antwort geben. Doch fügte es ein glücklicher Zufall, daß sich unter den mir zur Verfügung stehenden Vpn. eine befand, an der sich das Verhalten eines Absoluthörers verschiedenen Stimmungen gegenüber ohne eigens hierauf gerichtete, langwierige Versuche nachprüfen ließ. Es handelt sich um den 14jährigen, musikalisch außerordentlich begabten Gymnasiasten Ocke Nerong.

Ocke spielt seit dem 10. Lebensjahr Klavier. Das Instrument, auf dem er zu Hause z. Zt. der Vornahme meiner Versuche übte, stand, wie ich mich mit der Stimmgabel überzeugte, 1 1/4 Ton unter der Normalstimmung. Es war so altersschwach, daß es, nach Aussage des Klavierstimmers, ein Anziehen der Saiten bis auf die Normalstimmung wegen der damit verbundenen, von den Saiten auf den Rahmen ausgeübten, wesentlich höheren Spannkraft nicht ausgehalten hätte. Bei seinem Musiklehrer musizierte er auf einem Klavier mit Normalstimmung. Natürlich lernte er diese auch in der Schule und beim Anhören von öffentlichen Konzerten kennen. Schon sehr früh äußerte er seinen Eltern gegenüber seinen Mißmut über das im Ton zu tief stehende Übungsinstrument.

Wir haben also hier den Fall, daß sich ein Absoluthörer zwei wesentlich voneinander abweichenden Stimmungen gegenübergestellt sieht. Ich benutzte diese günstige und sicher äußerst seltene Gelegenheit zur Beantwortung der oben gestellten Frage, indem ich am 4. Februar mit Ocke 3 Vr. an meinem eigenen. normal gestimmten, und am 6. Februar 2 Vr. an seinem elterlichen, 1 1/4 Ton zu tief stehenden Instrumente aufnahm.

Das wichtigste Ergebnis sei gleich voran gestellt: Ocke Nerong bestimmt sowohl die Töne eines normal gestimmten, als auch die seines elterlichen Klaviers vollkommen absolut, also ohne Versuch einer gegenseitigen Bezugnahme. Sein musikalisches Gedächtnis hat beide Stimmungen in völliger Unabhängigkeit voneinander aufgenommen. Er vermag, bildlich gesprochen, musikalisch in zwei Sprachen zu denken und zu reden.

Die genauen Resultate der unter verschiedenen Bedingungen aufgenommenen Vr. seien einander gegenübergestellt.

a) Fehlerzahlen.

Vr. 1 2 3 4 5
F. 22 20 19 9 7

Davon sind:

  Vr. 1-3 Vr. 4 und 5
Halbtonfehler 41+ 90,1% 1+ 75%
14- 11-
Ganztonfehler 2+ 5% 2+ 18,8%
1- 1-
Kleine Terz-Fehler - 1- 6,2%
Große Terz-Fehler 1+ 1.6% -
Reine Quint-Fehler 2+ 3,3%  
  61 Fehler 16 Fehler

b) Nicht bestimmbare Töne und hierfür gebrauchte RZ.

Vr. 1 2 3 4 5
RT. a'''' fis'''' g'''' Sämtl. RT. wurden bestimmt
Urteil. -* - -
u. RZ. 7,2 12,0 5,6

*Nach Anschlagen der O. richtig angegeben.

c) Reaktionszeiten.

Vr. 1 2 3 4 5
RZ. (Sek.) 230,0 182,8 133,6 94,8 77,0

In völliger Übereinstimmung zeigen Fehlerzahlen, nicht bestimmbare Töne und RZ., daß Ocke in der Beurteilung der Töne seines elterlichen Klaviers die größere Sicherheit besitzt. Daß sich diese Stimmung seinem musikalischen Gedächtnis tiefer eingeprägt hat, ist nicht verwunderlich, da er ja an seinem Übungsklavier eine unvergleichlich längere Zeit mit Musizieren zugebracht hat, als an einem normal gestimmten Instrument.

d) Von Interesse dürfte auch eine Gegenüberstellung der kombinierten Tonrangreihen in beiden Stimmungen sein.

Pr. XVI

I (Vr. 1-3).

  F.-Index RZ.-Index F.-+RZ.-Index Kombinierte Tonreihe
C 2 4 6 B
Cis 7 4 11 Gis
D 1 5 6 F
Dis 4 4 8 C, D
E 5 3 8 Dis, E, Fis
F 3 2 5 G
Fis 3 5 8 Cis, H
G 5 4 9 A
Gis 3 1 4  
A 6 7 13  
B 1 2 3  
H 5 6 11  

II (Vr. 4 und 5).

  F.-Index RZ.-Index F.-+RZ.-Index Kombinierte Tonreihe
C 2 2 4 F, A
Cis 3 4 7 Fis, Gis
D 3 3 6 C, G
Dis 4 2 6 H
E 4 3 7 D, Dis, B
F 1 1 2 Cis, E
Fis 1 2 3  
G 1 3 4  
Gis 1 2 3  
A 1 1 2  
B 4 2 6  
H 3 2 5  

Die Tonrangreihe I zeigt eine Bildung, die die allgemeine Regel auf den Kopf stellt: B = bester, A = schlechtester Ton. In Reihe II tritt A mit F an die Spitze und B rückt in die vorletzte Stellung.

e) Eine wesentlich größere Übereinstimmung ergibt sich bei Gegenüberstellung der kombinierten Oktavenrangreihen.

I (Vr. 1-3).

  F.-Index RZ.-Index F.-+RZ.-Index Kombinierte O.-Rangreibe
S.C. 6 8 14 '
C. 5 6 11 Kl. und ''
Gr. 3 5 8 '''
Kl. 2 2 4 Gr.
' 1 1 2 C. und ''''
'' 1 3 4 S.C.
''' 1 4 5  
'''' 4 7 11  

II (Vr. 4 und 5).

  F.-Index RZ.-Index F.-+RZ.-Index Kombinierte O.-Rangreibe
S.C. 5 7 12 '
C. 4 6 10 Gr.
Gr. 1 2 3 ''
Kl. 1 4 5 Kl.
' 1 1 2 '''
'' 1 3 4 C.
''' 2 5 7 ''''
'''' 3 8 11 S.C.

Eine doppelte Stimmung hatte auch Herr Robert Sager im Ohr. Sein elterliches Klavier stand z. Zt. der Versuche um 1/4 Ton zu tief. Vr. 1-3 wurden am 12. Januar mit Benutzung des Steinway-Klaviers der Universität, Vr. 4 und 5 am 16. Januar an seinem Übungsklavier aufgenommen. Die Viertelton-Differenz läßt es begreiflicherweise nicht leicht zu einer so ausgeprägten Scheidung beider Stimmungen kommen wie bei Ocke Nerong. Sie verursacht eine Unsicherheit beiden Stimmungen gegenüber, ganz besonders aber dann, wenn, wie in diesem Falle, der Urteilende sich selber über die bestehende Differenz der Stimmungen nicht im klaren ist. Berücksichtigt man außerdem die bei Klavieren häufig vorkommende schlechte und unsaubere Stimmung einzelner Töne, so ist es begreiflich, daß durch diese Ungenauigkeiten auch ein sehr gutes a. G. in Verwirrung gebracht wird.

Die Resultate der Untersuchungen sind folgende:

a) Fehlerzahlen.

Vr. 1 2 3 4 5
F. 59 43 45 32 35

Davon sind:

  Vr. 1-3 Vr. 4 und 5
Halbtonfehler 88+ 71,4% 28+ 65,7%
17- 16-
Ganztonfehler 22+ 17,0% 7+ 22,4%
3+ 8-
Kleine Terz-Fehler 10+ 7,5% 3+ 8,9%
1- 3-
Große Terz-Fehler 4+ 2,7% 1+ 1,5%
Reine Quart-Fehler 1+ 0,7% 1+ 1,5%
Reine Quint-Fehler 1+ 0,7% -
  147 Fehler 67 Fehler

b) Nicht bestimmbare Töne.

Vr. 1 2 3 4 5
N. b. T. 9 27 19 7 2

c) Reaktionszeiten.

Vr. 1 2 3 4 5
RZ. (Sek.) 524,2 585,0 539,2 420,8 435,4

Genau wie im Fall Ocke Nerong zeigen die Fehlerzahlen, die nicht bestimmbaren Töne und die RZ. übereinstimmend, daß auch Herr Robert Sager in der Beurteilung der Töne seines Übungsklaviers eine wesentlich größere Sicherheit besitzt, als in der von Tönen eines normal gestimmten Instrumentes. Ich möchte an dieser Stelle der vielleicht auftauchenden Meinung entgegentreten, als. ob alle oder doch die meisten F. und Unsicherheiten der übrigen Vpn. ebenfalls auf Stimmungsdifferenzen des zu Hause benutzten und des bei den Vr. gebrauchten Instrumentes zurückzuführen seien. Das ist keineswegs der Fall. Ich nahm Gelegenheit, die Stimmung der von meinen Vpn. zu Hause gespielten Instrumente mit der Stimmgabel zu untersuchen. Irgendwelche die Sicherheit des a. G. nachteilig beeinflussende Abweichungen von der Normalstimmung habe ich hierbei nicht feststellen können. Die Gründe für die F. in den übrigen 19 Pr. sind, wie bereits ausgeführt, zu einem kleinen Teil physiologischer und zum weitaus größten Teil psychologischer Natur.

d) Kombinierte Tonrangreihen.

Pr. XIX

I (Vr. 1-3).

  F.-Index RZ.-Index F.-+RZ.-Index Kombinierte Tonreihe
C 6 7 13 G
Cis 7 2 9 Fis, H
D 3 6 9 Cis, D
Dis 2 8 10 A, B, Dis
E 8 5 13 Gis
F 8 5 13 C, E, F
Fis 5 3 8  
G 1 3 4  
Gis 8 4 12  
A 6 4 10  
B 4 6 10  
H 7 1 8  

II (Vr. 4 und 5).

  F.-Index RZ.-Index F.-+RZ.-Index Kombinierte Tonreihe
C 2 1 3 C
Cis 8 10 18 D, G
D 1 3 4 E
Dis 9 8 17 A
E 3 4 7 B, H
F 10 9 19 Fis
Fis 7 7 14 Dis
G 2 2 4 Cis
Gis 11 11 22 F
A 4 5 9 Gis
B 5 7 12  
H 6 6 12  

Die beiden kombinierten Tonrangreihen von Herrn Sager zeigen neben manchen Unterschieden auch allerlei Ähnlichkeiten. An Ähnlichkeiten möchte ich nur folgende hervorheben: Das an erster Stelle stehende G der I. Reihe behauptet sich in Reihe II an zweiter Stelle. Die schlechten Positionen von Dis, Gis und F der I. Reihe finden sich mit einer kleinen Verschiebung auch in der II. Reihe. Bemerkenswert ist ferner, daß der Ton C, der in Reihe I mit E und F an letzter Stelle steht, in Reihe II an die Spitze rückt, also dieselbe Erscheinung wie in den Tonrangreihen Ocke Nerongs.

e) Ziemlich abweichende Stellungen nehmen die O. in den beiden kombinierten Oktavenrangreihen ein.

I (Vr. 1-3).

  F.-Index RZ.-Index F.-+RZ.-Index Kombinierte O.-Rangreibe
S.C. 6 1 7 ' und Kl. und Gr. und S.C.
C. 5 7 12 ''' und ''''
Gr. 1 6 7 ''
Kl. 2 5 7 C.
' 5 2 7  
'' 3 8 11  
''' 5 3 8  
'''' 4 4 8  

II (Vr. 4 und 5).

  F.-Index RZ.-Index F.-+RZ.-Index Kombinierte O.-Rangreibe
S.C. 6 4 10 '
C. 3 7 10 ''
Gr. 2 8 10 ''''
Kl. 4 5 9 '''
' 1 2 3 Kl. Gr. und C. und S.C.
'' 2 3 5  
''' 2 6 8  
'''' 5 1 6  

Einige mir auffallende Urteile Herrn Sagers veranlaßten mich, auch sein Tonartengedächtnis nachzuprüfen. Ausdrücklich sei bemerkt, daß Herr Sager eine sichere und vollständige Kenntnis von der Verwandtschaft und den Vorzeichen der Tonarten z. Zt. der Versuche nicht besaß.

Die Resultate dieser aus dem Rahmen der Vr. fallenden Prüfung waren folgende:

Reis-Dreiklang (Normalstimmung)

Urteil RZ. Bemerkungen
C-Dur C-Dur 1,0  
Es-Dur Es-Dur 3,2  
H-Dur H-Dur 2,0  
As-Dur G-Dur 13,6 Nach 5,6 Sek.: "Das weiß ich nicht."  Dann nach weiteren 8 Sek.: G-Dur
B-Dur H-Dur 5,8  
F-Dur F-Dur 3,0  
D-Dur D-Dur 7,0 "Ich habe an C gedacht."
A-Dur A-Dur 15,0 Nach 10,8 Sek.: "Das weiß ich nicht."  Nach nochmaligem Anschlagen und weiteren 4,2 Sek.: A-Dur (ohne an einen anderen Ton zu denken)
E-Dur E-Dur 5,8  
G-Dur G-Dur 4,8  
Des-Dur D-Dur 6,4 Behauptet, sich darüber sicher zu sein
D-Dur D-Dur 5,2 "Auch D-Dur; ich glaube, daß beides dasselbe war, aber ich habe es nicht mehr sicher in der Erinnerung."
Fis-Dur Fis-Dur 4,0  

Die falschen Urteile fielen also auf As-Dur, B-Dur, Des-Dur; große Unsicherheit zeigte sich bei A-Dur. Hiermit übereinstimmend wurden auch in den ersten drei Vr. die Töne As, B, Des und A zumeist fehlerhaft beurteilt. In der ersten Vr. wurden z. B. Des überhaupt nicht, As, A und B nur je einmal richtig benannt.

Wie viel von diesen fehlerhaften Urteilen im einzelnen auf das Konto der sich störenden Stimmungen, oder auf das der Unvollkommenheit des a. G. selber zu setzen ist, ließe sich erst entscheiden, wenn Herr Sager Gelegenheit hätte, längere Zeit ausschließlich auf einem normal gestimmten Instrumente zu spielen.

2. Der Fall Otto Lindenberg (Gehörsumstimmung)

Eine gesonderte Betrachtung verlangt auch das Pr. des Herrn Musikdirektor Lindenberg. Z. Zt. der Aufnahme der ersten drei Vr. litt Herr Lindenberg an einer schon längere Zeit andauernden Erkältung, durch die besonders auch das rechte Ohr in Mitleidenschaft gezogen worden war. Er hatte bereits früher an sich die Beobachtung gemacht, daß Erkältungen die Sicherheit seines a. G. herabzusetzen pflegten. Insbesondere führte er die oft auffällig langen RZ. auf diese Ursache zurück. RZ. von 12-20 Sek. mit darauf folgendem richtigem Urteil waren keine Seltenheit. Herr Lindenberg äußerte sich, er habe den Eindruck, als ob der Ton zeitweilig längere Zeit gebrauche, um ins Ohr zu dringen. Die Erkältung ist jedoch nicht die alleinige Ursache für die merkwürdige Erscheinung, daß eine Anzahl von Tönen, teils durch sämtliche, teils durch fast alle O. hindurch, 1/2 Ton zu hoch benannt wurde. Die Theaterkapelle, der Herr Lindenberg als I. Konzertmeister angehört, mußte 14 Tage hindurch allabendlich bei einer Aufführung von "Dantons Tod" auf alten, für diese Vorstellungen aus Berlin beschafften, merklich unter der Normalstimmung stehenden Instrumenten musizieren. Auf diese tiefere Stimmung hatte sich das Ohr des Herrn Lindenberg allmählich eingestellt. Die Folge davon war, daß er die Töne der Normalstimmung in der großen Mehrzahl zu hoch beurteilte. Wir haben es also hier, da Herr Lindenberg Jahrzehnte hindurch als Berufsmusiker in großen Kapellen (Gewandhausorchester und Braunschweiger Hoftheaterorchester) natürlich ausschließlich in der Normalstimmung musiziert hat, mit einem Falle von Gehörsumstimmung zu tun.

a) Die ersten beiden Vr. wurden am 9. Februar aufgenommen. Um festzustellen, wie weit sich das a. G. der neuen Stimmung angepaßt hatte, bot ich an diesem Tage Herrn Lindenberg auch einige Tonarten zur Beurteilung. Das Ergebnis war folgendes:

Es wurden angeschlagen: Urteil:
B-Dur-Dreiklang H-Dur
D-Dur-Dreiklang Es-Dur
H-Dur-Dreiklang C-Dur
Fis-Dur-Dreiklang G-Dur
Es-Dur-Dreiklang E-Dur
F-Dur-Dreiklang Fis-Dur

Die Umstellung des Ohres auf die neue Stimmung war demnach hinsichtlich der Tonarten eine vollkommene. Bei der Beurteilung einzelner Töne machten sich offenbar noch Erinnerungen an die Normalstimmung geltend.

Die Aufnahme der Vr. 3-5 erfolgte am 16. Februar, also eine Woche später. Die Erkältung war noch nicht ganz behoben. Die tiefere Stimmung begann aber, was namentlich Vr. 3 und 5 zeigt, bereits der Normalstimmung wieder Platz zu machen.

Die genauen Fehlerzahlen seien hier mitgeteilt:

1. Vr. = 63 Fehler, davon Halbtonfehler: 55 + 5-, nicht bestimmbar: 0
2. Vr. = 64 Fehler, davon Halbtonfehler: 52 + 3-, nicht bestimmbar: 0
3. Vr. = 49 Fehler, davon Halbtonfehler: 37 + 4-, nicht bestimmbar: 2
4. Vr. = 59 Fehler, davon Halbtonfehler: 42 + 6- nicht bestimmbar: 2
5. Vr. = 40 Fehler, davon Halbtonfehler: 29 + 2-, nicht bestimmbar: 5

Wie ersichtlich, gehen die Halbtonfehler von 60 in Vr. I bis auf 31 in Vr. 5 zurück.

b) Eine besonders merkwürdige, von der allgemeinen Regel abweichende Verschiebung weisen die O. hinsichtlich ihrer aus den Fehlersummen abgeleiteten Stellungen auf.

Vr. 1-5

O. F. Rangreibe
S.C. 15 * 4 = 60 ''''
C. 43 ''' und Kl.
Gr. 38 '' und Gr.
Kl. 37 C.
' 47 '
'' 38 S.C.
''' 37  
'''' 29 * (12/10) = 35  

 

Sieht man von der SGO. ab, so entfallen also auf die ''''O. die wenigsten, auf die 'O. die meisten Fehler. Augenscheinlich hat die Gehörsumstimmung zuerst bei den Tönen der 'O. eingesetzt.

c) Die Antwort auf die Frage: "Welche Töne haben sich der Gehörsumstimmung am leichtesten zugänglich gezeigt?" sei mit der Aufstellung der kombinierten Tonrangreihe gegeben:

Vr. 1-5

Töne F.- Index RZ.- Index F.-+RZ.- Index Kombinierte Tonrangreihe
C 8 9 17 D, Dis
Cis 8 5 13 E
D 2 3 5 G
Dis 4 1 5 Gis
E 6 2 8 F, B
F 3 8 11 Fis, H
Fis 8 4 12 Cis
G 3 6 9 A
Gis 1 9 10 C
A 7 7 14
B 5 6 11
H 9 3 12

Da Herr Lindenberg, wenngleich er auch alle übrigen Orchesterinstrumente spielt, in erster Linie Geiger ist, wäre die Annahme nicht unbegründet, daß sich das A der Gehörsumstimmung, also der Stiftung einer neuen Assoziation zwischen absoluter Tonhöhe und Tonnamen, am meisten widersetzt haben würde; doch tritt es bezügl. der Fehlerzahl an die drittletzte Stelle. Es war das Gis, das der Gehörsumstimmung den stärksten Widerstand leistete. Auffällig ist bei Gis und ebenso bei H und F die Diskrepanz zwischen Fehlerzahl und RZ.

d) Nach dem Aufhören der die Gehörsumstimmung verursachenden Einflüsse scheint sich die Einstellung auf die Normalstimmung schnell vollzogen zu haben. Am 5. März gab Herr Lindenberg B und G genau in Normalstimmung, frei aus dem Gedächtnis, an. In Vr. 2 war B durchgehends als H bezeichnet worden. Zwei Monate später, am 3. Mai, bestimmte er die Tonarten: B-, D-, H-, Fis-, Es- und F-Dur, die er am 9. Februar sämtlich einen halben Ton zu hoch beurteilt hatte, völlig fehlerfrei. Die Normalstimmung war also, wenigstens was die Tonarten anbetrifft, in ihre Rechte getreten.

3. Der Fall Rainer Mulzer (Das a. G. im Entwicklungsstadium)

Eine Sonderbetrachtung erfordert endlich die Gehörsuntersuchung an Rainer Mulzer. Diese Prüfung fällt aus dem Rahmen der übrigen Vr. Rainer, der mit Unterbrechungen einen 2jährigen Geigenunterricht genossen hatte, erklärte mir, daß er wohl die Namen für die Tasten des Klaviers kenne, daß er aber nur imstande sei, die Töne von g bis h", die er auf der Geige in der ersten Lage zu spielen vermag, zu bestimmen. Ein paar Proben mit Tönen, die außerhalb dieses Tonumfanges lagen, bestätigten seine Angabe. Die Prüfung erstreckte sich aus diesem Grunde auf das soeben bezeichnete Tongebiet. Ferner meinte er, daß er die Töne der weißen Tasten sehr viel besser als die der schwarzen benennen könne. Er hat dann auch ganz konsequent alle angeschlagenen Töne ausschließlich mit den Tonnamen der C-Durleiter bezeichnet. Damit war eine große Zahl von Halbtonfehlern von vornherein gegeben. Anfänglich erschien es mir einigermaßen zwecklos, die Untersuchung fortzusetzen; doch überraschte Rainer immer wieder durch richtige Urteile und charakteristische Äußerungen über seine Methode der Tonbestimmung, so daß ich mich entschloß, die Vr. abzuschließen.

Es läßt sich vorerst nicht behaupten, daß Rainer im Besitz eines entwickelten und gut ausgebildeten a. G. sei. Die erforderliche Naturanlage scheint vorhanden zu sein. Über ihren Umfang ließe sich erst nach Vornahme genauerer Untersuchungen mit einiger Sicherheit urteilen. Zweifellos ist die Geige, einmal wegen der Veränderlichkeit der Stimmung und zum andern wegen der Abhängigkeit eines sauberen Spieles von einem guten Intervallgehör, sehr viel weniger als ein Instrument mit unveränderlicher Stimmung zur Ausbildung und Entwicklung des a. G. geeignet.

Vorerst ein paar Worte über das Verfahren, das Rainer bei der Bestimmung der Töne einschlug. Einige wenige Töne bestimmte er absolut. "A summe ich nicht, das habe ich einfach so behalten." Dieses Summen ist kein wirkliches, sondern nur ein gedachtes. Töne frei angeben kann er nicht. "Ich meine, ich höre D im Gehirn, aber ich kriege es nicht heraus." Er behielt die zuletzt angeschlagenen Töne oft gut im Gedächtnis, so daß er sie häufiger zur Orientierung benutzen konnte. In der Mehrzahl der Fälle stellte er sich jedoch Töne vor, die er am besten zu kennen vermeinte. Diese gedachten Töne hatten bei ihm den Charakter von Klaviertönen. "Ich gehe immer von den weißen Tasten aus."

Einige Beispiele mögen sein Verfahren zeigen.

Pr. XIV, 2; RT.: c" Urteil c. "Ich habe mir D und E vorgesummt, an H dachte ich auch." RZ.: 5,0 Sek.

Pr. XIV, 2; RT.: h Urteil: h. "An C habe ich gedacht und an A; dann dachte ich an G, das ich kenne und kam auf H." RZ.: 12,2 Sek.

Pr. XIV, 4; RT.: d' Urteil: d. "Ich dachte an F, da meinte ich E; aber es war zu tief für einen halben Tonschritt, also mußte es D sein."(!)

Häufiger kam es vor, daß er einen größeren Tonschritt, der keine O. war, für eine O. hielt. Vgl. Vr. 3; c" a" werden beide nacheinander als H bezeichnet; oder cis' und b' beurteilte er gleichfalls nacheinander als D. In beiden Fällen fügte er ausdrücklich hinzu: "Ich hörte die O."

Wie bereits in Kap. I,4 näher ausgeführt, stellte ich mit Rainer auch eine Vr. auf, bei der Geigentöne zur Beurteilung geboten wurden. Folgende Gegenüberstellung zeigt die Ergebnisse der Untersuchung.

Es handelt sich in jeder Reihe um 29 Urteile (g-h").

  Klaviertöne Geigentöne
Vr. 1 2 3 4 5 1
F. 23 18 23 21 25 19
RZ. 154,4 161,6 159,6 129,0 160,2 149,0

Davon sind:

  Vr. 1-3 Vr. 4 und 5
Halbtonfehler 3+ 47,3% 6+ 52,7%
19- 4-
Ganztonfehler 24+ 31,8% 4+ 31,6%
11- 2-
Kleine Terz-Fehler 11+ 12,7% 1+ 15,7%
3- 2-
Große Terz-Fehler 7+ 6,4% -
Reine Quart-Fehler 2+ 1,8% -
Verminderte Quint-Fehler - -
Reine Quint-Fehler - -
  80 Fehler 19 Fehler

Ordnet man die Töne bezüglich der auf sie entfallenden Fehlerzahlen, so ergeben sich folgende Reihen:

  Urteile F. F. in Proz.
A 15 6 40
H 15 7 47
D 10 5 50
E 10 5
C 10 7 70
G 15 11 73
F 10 9 90
Cis 10 10 100
Dis 10 10
Fis 10 10
Gis 15 15
B 15 15
Fis 2 0 0
A 3 1 33 1/3
H 3 1
D 2 1 50
E 2 1
G 3 2 66 2/3
B 3 2
C 2 2 100
Cis 2 2
Dis 2 2
F 2 2
Gis 3 3

Auffällig ist, daß in der Geigentonreihe Fis, das in der Klaviertonreihe durchgehend falsch beurteilt wurde, an die Spitze rückt. Fis war der einzige Ton, bei dem Rainer von seinem Prinzip, sich bei der Benennung nur der Töne der C-Dur-Tonleiter zu bedienen, abwich. Bei fis" erklärte er: "Ich habe mir F und G vorgesummt, dann lag es dazwischen." A, H, D und E gehören in beiden Reihen übereinstimmend zu den besterkannten Tönen. Bei h" meinte er: "H kenne ich gut." A, D und E verdanken ihre Vorzugsstellung sicher dem Einstimmen der Geige. Rainers Meinung, daß er die Töne der Geige besser erkenne, ist nur in einem recht bescheidenen Umfange richtig.

Da Rainer z. Z. meiner Vr. noch keine Kenntnis der Tonarten und ihrer Verwandtschaft besaß, vermochte er sie auch nicht zu bestimmen.

Daß sich das totale a. G. bei ihm als Begleiterscheinung eines durch längere Zeit fortgesetzten Klavierunterrichtes einstellen werde, halte ich für sehr wahrscheinlich.

VII. Kapitel - Angabe von gewünschten Tönen durch Singen oder Pfeifen

Es ist die Meinung weit verbreitet, daß jemand, der im Besitze des a. G. ist, jeden mit Namen bezeichneten Ton durch Singen oder Pfeifen frei aus dem Gedächtnis anzugeben vermag. Dieser Ansicht ist z. B. Arthur Liebscher, wenn er schreibt: "Weber, Wagner und vielen Großen fehlte es (das a. G.) in der Tat. Beweis: die von ihnen gebrauchten und noch erhaltenen Stimmgabeln. Wer für sein a. G. garantieren kann, steckt keine Stimmgabel in die Tasche." (Nr. 14.) Der Beweis ist keineswegs stichhaltig. Liebscher beachtet nicht den wesentlichen psychologischen Unterschied, der zwischen der Fähigkeit zur absoluten Tonbestimmung und derjenigen zur stimmlichen Angabe mit Namen bezeichneter Töne besteht. Darauf hingewiesen hat, wie schon in der Einleitung erwähnt, v. Kries bereits 1892 (Nr. 12, S. 264). O. Abraham hat dann versucht, durch zwei schematische Zeichnungen die Wege zu verdeutlichen, die im ersten Falle die Tonvorstellung, im zweiten die Wortvorstellung über die verschiedenen Gehirnzentren einschlagen muß, um die beiden voneinander abweichenden Leistungen hervorzubringen. Jedenfalls ist es nicht selbstverständlich, daß, wenn die Tonvorstellung die Wortvorstellung, diese nun auch jene zu wecken und mit voller Klarheit ins Bewußtsein zu rufen vermag. Es sei auf einen ähnlichen Unterschied auf optischem Gebiete hingewiesen. Es ist nicht schwer, einen vorübergehenden, bekannten-- und sei es auch nur sehr oberflächlich bekannten-- Menschen mit seinem Namen zu nennen. Wie sehr würde man aber in Verlegenheit geraten, wenn man sich diesen Menschen nach längerer Zeit auf bloße Namensnennung hin mit allen Einzelzügen des Gesichts und der Kleidung vor dem geistigen Auge verlebendigen oder gar aus dem Gedächtnis zeichnen sollte. Während die erste Leistung einem normal veranlagten Individuum keinerlei Schwierigkeiten bereitet, sind zu der zweiten Aufgabe nur sehr wenige Menschen befähigt. Wenn auch der Vergleich hinkt, so läßt er doch die verschiedenen Schwierigkeiten beider Leistungen deutlich hervortreten.

Die Untersuchung wäre unvollständig gewesen, wenn sie nicht, unter Berücksichtigung des erwähnten Unterschiedes, einer jeden Vp. auch die Aufgabe, mit Namen bezeichnete Töne durch Singen oder Pfeifen anzugeben, gestellt hätte. Der Einheitlichkeit halber wurden die Vpn. gebeten, die gewünschten Töne in der ihnen bequemsten Tonlage zu singen. Nur zwei Vpn.-- nämlich Herr R. Sager , der ein wenig stottert, und Herr O. Nerong , der sich im Stimmwechsel befand-- erklärten, nicht singen zu können. Sie erzeugten die Töne durch Pfeifen. Die Resultate dieses zweiten Teiles der Gehörsprüfung zeigt Tabelle XIV auf S. 82/83.

Die Fehlerskala mußte, da die Angabe von Tönen durch Singen oder Pfeifen in einer großen Zahl von Zwischenstufen erfolgen kann, differenzierter gestaltet werden, als die für die Bestimmung von angeschlagenen Klaviertönen. Wie ersichtlich, wurden auch 1/8-, 1/4- und 3/4-Tonfehler notiert. Es konnte sich bei diesen Fehlern nur um Schätzungen handeln. In die Summe wurden die 1/8-Tonfehler nicht aufgenommen, da sie zu geringfügig sind.

Die Tabelle zeigt:

1. ein starkes Abfallen der Fehlerzahlen bei Zunahme der Fehlergröße;
2. ein starkes Überwiegen der-Fehler.

Diese zweite Erscheinung stellt das notwendige Korrelat zu dem starken Überwiegen der +-Fehler bei der Beurteilung angegebener Töne dar. Hat nämlich jemand eine zu tiefe Stimmung im Ohr, so wird er folgerichtig angegebene Töne zu hoch beurteilen.

Eine befriedigende Erklärung für die merkwürdige Tatsache des zahlenmäßigen Überwiegens der-Fehler bei der Tonangabe anzuführen, scheint mir vorerst nicht möglich. Man könnte versucht sein, zu glauben, daß hier eine Parallelerscheinung zu dem Nachlassen der Stimmung bei den Saiteninstrumenten vorliege.

Es mag vermerkt sein, daß ich die Vp. stets bat, die gewünschten Töne, soweit wie irgend möglich, unter völliger Ausschaltung des Intervallgehörs anzugeben.

Nicht selten kommt der Fall vor, daß Personen, die im Besitze des partiellen a. G. sind, sich die Auffindung eines gesuchten Tones dadurch zu erleichtern vermögen, daß sie sich den Anfang eines ihnen recht vertrauten Musikstückes, eines Liedes, eines Motivs usw. lebhaft in die Erinnerung rufen. Keine einzige meiner Vpn. griff auf dieses oder ein ähnliches Erleichterungsmittel zurück. Abgesehen von den Fällen, in denen der gewünschte Ton nicht angegeben werden konnte, weckte die Nennung des Tonnamens unmittelbar die richtige oder falsche Tonvorstellung.

Die Verteilung der Fehler (ausschließlich der 1/8-Tonfehler) auf die einzelnen Töne macht Tabelle XV ersichtlich.

Tabelle XIV.

Vp. Zahl der Tonangsb. 1/8- Ton-F. 1/4 Ton-F. 1/2 Ton-F. 3/4 Ton-F. 1- Ton-F. 1 1/2- Ton-F. 2- Ton-F. 2 1/2- Ton-F. 3- Ton-F. 3 1/2- Ton-F. Nicht angebbar Sa. ohne 1/8- Ton-F. Sa. ohne 1/8- Ton-F. in Prozent Bemerkungen
+ - + - + - + - + - + - + - + - + - + -
Frl. R. Beyer 36 - - 2 - 2 - - - - - 1 - - - - - - - - - - 5 13,9  
Herr A. Burmeister 12 - - - - 1 - - - - - - - - - - - - - - - - 1 8,3  
Frl. M. Flügge 36 - - - 3 - - - - - - - - - - - - - - - - - 3 8,3  
Herr H. Hampf 12 - 6 - 1 - - - - - - - - - - - - - - - - - 1 8,3  
Frl. I. Hansen 36 - - - 1 - 7 - 1 - 6 - 3 - - - - - - - - - 18 50,0  
Herr H. Kagel 16 - - - 1 1 - - - - - - - - - - - - - - - - 2 12,5  
Frl. M. Keller 36 - 2 3 5 2 3 1 1 - 5 1 1 - - - 1 - - - - 5 28 77,8 Erklärt, hierin außerst sicher zu sein
Frl. L. Knaack 36 - - - 6 - 3 - 1 1 6 - 7 - 1 2 1 1 - - 2 - 31 91,7 Erklärt, es nicht zu können
Frau A. Krey 36 - 6 - - - 1 - - - - - - - - - - - - - - - 1 2,8  
Herr O. Lindenberg 12 - 1 - 6 3 - - - - - - - - - - - - - - - - 9 75,0  
Herr R. Möller 15 - 6 - 1 - - - 1 - 1 - - - - - - - - - - - 3 20,0  
Frl. A. Moor 12 - 1 - 1 - - - - - - - - - - - - - - - - - 1 8,3  
R. Mulzer 2 - - - - - - - - - - - 1 - - 1 - - - - - - 2 100,0 Erklärt, raten zu müssen
Herr Th. Mumm 36 - 22 1 3 - - - - - - - - - - - - - - - - - 4 11,1  
Herr O. Nerong 19 - 5 - - - 1 - - - - - - - - - - - - - - - 1 5,3  
Frau M. Pos-Carloforti 24 1 1 - 1 - - - - - - - - - - - - - - - - - 1 4,2 In Normalstimmung angegeb.
Fr. A. Runge 16 - 4 - 1 - - - 1 - 6 1 1 - 1 - - - - - - - 11 68,8 Erklärt, aufs Geratewohl angeben zu müssen
Herr R. Sager 36 - - - 8 3 5 - 6 - 1 - 1 - 1 - - - - - - 2 27 75,0 Erklärt, sehr unischer zu sein
Frl. G. Stein 36 - - 1 2 5 3 - 2 - 5 - 5 1 1 - 1 - - - - - 26 72,2 Erklärt, sehr unischer zu sein
Frau T. Stein 36 - - - - - 2 - - 1 - - - - - - - - - - - - 3 8,3  
Frau E. Weiß-Mann - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Erklärt, es nicht zu können

Sa.

500 1 54 7 40 17 25 1 13 2 30 3 19 1 4 3 3 1 - - 2 7 178    
    55 47 42 14 32 22 5 6 1 2        

Tabelle XV.

Töne I II III IV V VII VIII IX X XI XII XIII XV XVI XVII XVIII XIX XX XXI Sa. einschl. der nicht abgebbaren Töne
C 1 - - - 2 - 3 1 - 1 - - - - - 1 3 2 - 14
Cis 1 - - 1 2 - 2* 2 - 1 - - - - - 1 1 1 - 13
D - - - - 2 - 2* 3 - 1 1 - 1 - - 1 2 2 - 16
Dis 1 - 2 - 3 - 3 3 - 1 1 - - - - 1 1 3 1 20
E 1 1 - - 2 - 2 3 - 1 - - - - - - 3 3 - 16
F - - 1 - 2 1 2 3 - 1 - - 1 - - 1 1 1 - 14
Fis - - - - 1 - 1 2 - - - - - 1 - 1 3 3 1 13
G - - - - - - 2 3 1 1 - - 1 - - 1 3 2 - 14
Gis 1 - - - 1 1 1** 3 - - - 1 1 - - 1 3 3 1 19
A - - - - - - 2 3 - 1 1 - - - 1 1 1 2 - 12
B - - - - 1 - 1* 3 - - - - - - - 2 1** 2 - 13
H - - - - 2 - 2 2 - 1 - - - - - - 3 2 - 12
  5 1 3 1 18 2 23**** = 28 31 1 9 3 1 4 1 1 11 25** = 27 26 3 176

* = 1x nicht angebbar
** = 2x nicht angebbar

Die meisten Fehler entfallen auf Dis und Gis, die wenigsten auf A und H. Ein etwaiger Vergleich mit Tabelle V (S. 33), die sämtliche auf die beurteilten Töne entfallenden Fehler zeigt, würde aus zwei Gründen zu falschen Schlüssen führen:

1. Tabelle V umfaßt keine 1/4- und 1 1/4 -Tonfehler.
2. Im Verhältnis zu den Vertretern des bipolaren Typus (Kap. VIII) stehen die des unipolaren Typus der Aufgabe mit gar zu ungleichen Fähigkeiten gegenüber.

VIII. Kapitel - Typen des absoluten Gehörs

1. Der unipolare und der bipolare Typ

Zeigten sich auch bei der Bestimmung angegebener Töne in der Art der Sicherstellung des Urteils individuelle Verschiedenheiten, so schien mir doch die absolute Tonbeurteilung selbst in ihrem Wesen bei allen Vpn. die gleiche zu sein. Sollten aber bei dem psychischen Prozeß der Tonerkennung in der Tat typische Unterschiede bestehen, so entzogen sie sich jedenfalls meiner Beobachtung; desgleichen war es mir nicht möglich, sie durch eingehendste Befragung meiner Vpn. aus der Verborgenheit ans Licht zu ziehen.

Aus den im II. Kapitel besprochenen individuell verschiedenen Verhaltungsweisen bei der Tonbestimmung Typen abzuleiten, will mir, weil es sich dabei immer nur um die Sicherstellung und Nachprüfung eines bereits gebildeten Urteils, nicht aber um den Kern des Problems, nämlich die Tonerkennung selbst, handelt, nicht ausreichend begründet erscheinen.

Eher ließe sich schon eine Typenaufstellung motivieren, die sich als Einteilungsprinzip die graduellen und quantitativen Verschiedenheiten des a. G. setzte. Ist doch die Annahme berechtigt, wenn nicht gar notwendig, daß die leicht feststellbaren, quantitativen psychischen Unterschiede ihrem innersten Wesen nach auf Differenzierungen qualitativer Natur zurückzuführen seien. Da eine solche Typeneinteilung ohne Willkür bei der Grenzsetzung nicht zu bewerkstelligen ist, und darum auf allgemeine Zustimmung nicht rechnen kann, mag ein hierauf gerichteter Versuch unterbleiben.

Erst bei der freien stimmlichen Angabe mit Namen bezeichneter Töne traten solche Unterschiede hervor, die die Aufstellung von Typen des a. G. rechtfertigen, und zwar waren es zwei Typen, die sich deutlich voneinander abhoben.

Die dem ersten Typus angehörigen Personen sind befähigt, sowohl klanglich angegebene Töne richtig zu benennen, als auch mit Namen bezeichnete, durch Singen oder Pfeifen, richtig anzugeben. Die Personen des zweiten Typus sind lediglich zur Lösung der ersten Aufgabe imstande. Ich bezeichne den ersten als den bipolaren und den zweiten als den unipolaren Typ.

Das wesentliche Charakteristikum des unipolaren Typus ist weit weniger die Zahl und Größe der Fehler bei der Angabe gewünschter Töne, als das Auftreten des Gefühles völliger Unsicherheit dieser Aufgabe gegenüber. "Angeben kann ich die Töne komischerweise nicht." "Ich muß mich völlig aufs Raten verlegen." "Ich weiß, daß es falsch ist, was ich angeben werde," waren häufig wiederkehrende Bemerkungen der diesem Typ angehörigen Vpn., bei Beginn dieses Teiles der Untersuchung. Diese Unsicherheit drückt sich in der Zahl, noch sinnfälliger in der Spielraumbreite, in der sich die auf einen Ton entfallenden Fehler bewegen, und endlich auch in dem Wechsel des Gefühls von "angebbar" und "nicht angebbar" aus. Einige charakteristische Fälle seien hier zusammengestellt:

Beispiel R. XXIV

Nr. Pr. Vr. Gewünscht Angegeben
1 XX 6 e es cis f
2 IX g f es d
3 b c g es
4 a d d fis
5 dis cis c a
6 h as h-b* h
7 cis fis c-cis cis
8 XX g f d g
9 a cis f a
10 VIII h d h a
11 b h b **
12 d - es-e h
13 gis - fis -
14 fis fis cis fis

*h-b = der angegebene Ton lag zwischen h u. b.
**nicht angebbar.

Beispiel 1-5 zeigt eine große Spielraumbreite zwischen dem gewünschten Tone und den angegebenen Tönen.

Beispiel 6-10 zeigt neben zwei falschen ein richtiges Urteil. Doch fehlt auch bei Abgabe des richtigen Urteils das Gefühl der Sicherheit.

Beispiel 11 zeigt Fehler, richtiges Urteil und "nicht angebbar" in einer Reihe.

Beispiel 12 und 13 zeigt "nicht angebbar" neben Fehlern.

Beispiel 14 zeigt zwei richtige Urteile, dazwischen einen Quintfehler.

Den unipolaren Typ in reiner Ausprägung vertreten von meinen Vpn.: Frl. M. Keller, Frl. L. Knaack, Frl. A. Runge, Frl. G. Stein, Frau E. Weiß-Mann, Herr R. Sager und Rainer Mulzer.

Alle übrigen Vpn.-- mit Ausnahme von Frl. I. Hansen, die ich einem Mischtyp zurechnen möchte-- gehören dem bipolaren Typ an.

Es hat danach den Anschein, als ob der bipolare Typ der häufigere ist.

Auf die eingangs des vorigen Kapitels angeführte Behauptung Liebschers wäre also zu antworten: "Wenn Wagner und Weber sich der Stimmgabel bedienten, so ist damit noch keineswegs erwiesen, daß sie nicht Besitzer des a. G. gewesen seien; nur wird man sie dem unipolaren Typ zuzurechnen haben." Namentlich bei R. Wagner scheint mir diese Annahme die beste Lösung des bis heute nicht entschiedenen Streites, ob er das a. G. besessen habe oder nicht.

Ob ein unipolarer Typ existiert, der gewünschte Töne richtig anzugeben, aber gehörte Töne nicht richtig zu bestimmen vermag, bedarf noch der eingehenden Nachprüfung. Zwar meint v. Kries , daß dieser Fall nicht vorzukommen scheine, "auch durch den Zusammenhang der Dinge eigentlich ausgeschlossen sei". Nach mündlichen Angaben des Herrn Prof. Anschütz jedoch, der sich dabei auf die Kenntnis eines wenn auch noch nicht völlig gesicherten Falles stützt, ist die Möglichkeit der Existenz eines solchen Typus keineswegs auszuschließen. Da mir bis zur Zeit des Abschlusses meiner Gehörsuntersuchung kein Fall dieser Art bekannt geworden ist, möchte ich die Frage vorerst offen lassen.

Auf einen Unterschied, der zwischen dem unipolaren und dem bipolaren Typ zu bestehen scheint, möchte ich noch hinweisen. Es sind fast nur die Vertreter des erstgenannten Typus, die erklären, daß die Schwierigkeit der Tonbeurteilung wesentlich von der Klangfarbe der verschiedenen Instrumente abhängig sei. Der Grund hierfür ist, daß die Personen des bipolaren Typus jeden auf die eigene Singstimme übertragenen oder vorgestellten Ton schnell zu beurteilen vermögen. Diese Fähigkeit ist es, die diesem Typus die fast unbegrenzte Unabhängigkeit von der einem jeden Ton anhängenden Eigenschaft seiner spezifischen klanglichen Färbung verleiht. Die schlechtere Erkennbarkeit der auf Blechinstrumenten erzeugten Töne beruht wohl in erster Linie auf der größeren Zahl disharmonischer Obertöne. Doch spielt auch die größere oder geringere Gewöhnung an den spezifischen Klangcharakter eines Instrumentes eine nicht zu unterschätzende Rolle. So wird, vermute ich, ein mit dem unipolaren a. G. begabter Hornist die Töne seines Instrumentes ebensogut erkennen wie die des Klaviers. Folgende Zusammenstellung zeigt die Beantwortung der die Klangfarbe betreffenden Fragen. Da jedoch mit keiner meiner Vpn. exakte Untersuchungen in dieser Richtung vorgenommen sind, möchte ich nochmals darauf hinweisen, daß die Antworten nicht als endgültige Aussagen über objektive Tatbestände bewertet werden können.

Nr. Name Ist Ihnen die Klangfarbe gleichgültig? Die Töne welches Instrumentes erkennen Sie Bemurkungen
am besten am schlechtesten
1

Frl. Beyer

ja - - -
2

Herr Burmeister

ja - - -
3

Frl. Flügge

ja - - -
4

Herr Hampf

ja - - -
5

Frl. Hansen

ja - - -
6

Herr Kagel

nein - Horn und Singstimme -
7

Frl. Keller

ja - - -
8

Frl. Knaack

nein Klavier und Orgel - 1st Organistin
9 Frau Krey ja - - -
10 Herr Lindenberg ja - - Macht darauf aufmerksam, daß d. Akustik eine große Rolle spiele
11 Herr Möller ja - - -
12 Frl. Moor ja - - -
13 Herr Mumm ja - - -
14 Herr Nerong ja - - -
15 Frau P. Carloforti ja - - -
16 Frl. Runge kann die Fragen nicht mit Sicherheit beantworten Singstimme  
17 Herr Sager nein Klavier ?  
18 Frl. Gr. Stein nein Klavier und Streichinstrumente Blasinstrumente -
19 Frau Tr. Stein ja - - -
20 Frau Weiß-Mann - - - Fragen nicht beantwortet

2. Die Typen nach Géza Révész und A. Wellek

a) Wie bereits auf S. 8 ausgeführt, unterscheidet Révész an einem Tone außer seiner Intensität und Klangfarbe zwei voneinander unabhängige musikalische Eigenschaften, nämlich die Qualität, die in den Oktavtönen periodisch wiederkehrt, und die Tonhöhe, die sich in der Erscheinung des Steigens und Sinkens ausdrückt. Er glaubt in einem Fall von Parakuse (Liebermann) den Beweis erbracht zu haben, daß diese beiden Eigenschaften nicht nur voneinander unabhängig, sondern auch real trennbar seien. Auf die Frage, wie es zu erklären sei, daß ein mit dem a. G. ausgestatteter Mensch bestimmte Töne richtig, andere annähernd richtig und andere schon mit großer Ungenauigkeit beurteilt, gibt R. die Antwort, daß sich diese Tonurteile tatsächlich auf zwei Urteilskriterien gründen, und daß man nach diesen zwei Arten von Kriterien zwei Arten von a. G. unterscheiden müsse, nämlich Tonqualitätenerkennung und Tonhöhenerkennung. "Nun ist es sehr merkwürdig, wie es kommt, daß derselbe, der etwa ein F mit einem G in der mittleren Lage niemals verwechselt, in einer tieferen oder höheren Region F für G oder gar für As hält. Dieses Verhalten des Beobachters ist nun damit zu erklären, daß er in dieser Region aus irgendwelchem Grunde ein anderes Urteilskriterium anwendet als in der Mittellage, nämlich die Höhe (Höhenerkennung). Daß nun das Urteil des Beobachters, wenn er sich nach diesem Merkmal des Tones richtet, weniger genau ausfällt, als wenn sich ihm das qualitative Moment aufdrängt und er dadurch bestimmt wird, beruht darauf, daß die Tonempfindung durch das Höhenmerkmal nichts Individuelles erhält." (Nr. 19, S. 133.)

Hierzu möchte ich folgendes bemerken:

1. Für Personen mit normalem Gehör ist die reale Trennung von Qualität und Höhe ein und desselben Tones unvorstellbar. "Man stelle sich die Sache so vor, daß z. B. zwei Qualitäten, wie etwa E und F, beide in der Höhe des g" wahrgenommen werden." (Nr. 19, S. 131.) Diese Vorstellung zu vollziehen war meinen Vp. unmöglich. Denkt man sich die Qualitäten E und F in der Höhe des g", so hebt man damit zugleich die Qualitäten E und F auf und setzt die von g" an ihre Stelle, oder anders ausgedrückt: E und F sind eben unter Beibehaltung einer festen Stimmung, in der Höhe von g" gedacht, nicht mehr E und F, sondern g". Natürlich können E und F fälschlich für G gehalten werden, aber dann wird eben der Totaleindruck der Tonempfindung irrtümlich beurteilt. Wären Qualität und Tonhöhe zwei real voneinander trennbare Toneigenschaften, dann hätte gewiß diese oder jene Vp. ein Urteil auch einmal etwa in folgender Form geäußert: "Der Höhe nach muß es G, der Qualität nach scheint es mir aber F zu sein." Ein derartiges oder ähnliches Urteil ist niemals ausgesprochen worden.

2. Sämtliche Vpn. erklärten mir, nach vorherigen eingehenden Erörterungen über den Begriff der Qualität im Révész-schen Sinne, daß sie das Kriterium für die Erkennung hoher und tiefer Töne nicht änderten und überhaupt nicht zu ändern imstande wären. Die im Fragebogen gestellte Frage: "Erkennen Sie einen Ton an seiner Tonhöhe, seiner Helligkeit oder etwa an seinem spezifischen Charakter, seiner Qualität, oder trennen Sie beides nicht voneinander?" wird folgendermaßen beantwortet: 15 Vpn. erklären: Ich trenne beides nicht, bzw. ich kann beides nicht voneinander trennen. 6 Vpn. sagen: Ich erkenne den Ton an seiner Höhe. Rainer Mulzer ist, da das Urteil eines Kindes in dieser Angelegenheit nicht ins Gewicht fallen kann, nicht befragt worden. Für eine sich ausschließlich, oder doch vorwiegend auf die Qualität stützende Tonerkennung entscheidet sich niemand. Nun soll keineswegs bestritten werden, daß in den sechs Fällen, in denen die Tonhöhe als alleiniges Erkennungsmerkmal angegeben wird, nicht auch ein damit unlöslich verschmolzenes Qualitätsmoment einen gewissen Anteil bei der Tonbeurteilung hat oder haben kann. Bestreuen möchte ich aber auf Grund der von mir angestellten Versuche und der Aussagen meiner sämtlichen Vpn., daß ein Absoluthörer sich bei seinen Urteilen einmal auf die Qualität und ein anderes Mal auf die Tonhöhe stütze. Ich behaupte vielmehr, daß weder die Qualität noch die Tonhöhe allein, sondern der von jedem Beurteiler psychologisch unbewußt gestaltete, in seiner feinen Differenzierung aber mit Worten nur sehr schwer oder überhaupt nicht faßbare, akustisch durch einen Namen, optisch durch ein Noten- und ein Buchstabenbild fixierte Totaleindruck eines Tones über einen langen Zeitraum hindurch gedächtnismäßig festgehalten und beim Auftreten des gleichen oder doch nur geringfügig abweichenden Tonreizes erneut geweckt und wiedererkannt werde. Über den Prozeß der Wiedererkennung vgl. S. 19.

3. Es gibt bei der größten Zahl der Absoluthörer keine säuberliche Scheidung zwischen einer fehlerlosen und einer durch Fehler charakterisierten Region, was eine flüchtige Durchsicht der Pr. zur Genüge beweist. Richtige und falsche Urteile liegen oft in sehr bunter Folge nebeneinander. Auch entfallen oft richtige und falsche Benennungen bei mehrfachen Beurteilungen auf ein und denselben Ton. Allein durch diesen Umstand scheint mir die Behauptung Révész', daß in der Mittellage die Qualität, in den äußeren Regionen dagegen die Tonhöhe das Kriterium der Tonbestimmung sei, erschüttert.

4. Es ist nicht einzusehen, warum eine Tonempfindung durch die Eigenschaft der Tonhöhe oder Helligkeit nicht ebensosehr etwas Individuelles erhalten soll wie durch die Qualität. Die Tonhöhe ist als Toneigenschaft zum mindesten ebenso ursprünglich und sinnfällig wie die Qualität. Ihre Existenz brauchte nicht erst bewiesen zu werden.

5. Gegen die Auffassung von Révész spricht vor allem die Tatsache der heterogenen Fehlergruppen im Bereiche aufeinanderfolgender Oktaven. Vgl. S. 48. Da nämlich die Qualität eines Tones durch alle O. hindurch identisch sein soll, dürften derartige Fehler gar nicht vorkommen. Der von Révész gemachte Hinweis auf das, was v. Kries bei Besprechung gewisser Eigentümlichkeiten des Augenmaßes über das Versagen des Gedächtnisses gegenüber einem Komplexmerkmal, wenn dieses Merkmal in einem anderen Komplex auftritt, sagt (Nr. 20), kann hierfür als ausreichende Erklärung keineswegs genügen, es sei denn, daß man eine sehr starke Beeinflußbarkeit der Tonqualität durch die Tonhöhe und eine große Abhängigkeit jener Toneigenschaft von dieser annimmt. Dadurch aber würde die Selbständigkeit der Tonqualität überhaupt in Frage gestellt.

6. R. bleibt die Antwort auf die Frage schuldig, ob sich beim Angeben mit Namen bezeichneter Töne durch Singen oder Pfeifen die Auffindung dieser gewünschten Töne ganz oder doch vorzugsweise auf die Tonqualität oder auf die Tonhöhe stütze.

Wenn R. ferner schreibt: "Es ist bemerkenswert, daß man die beiden Arten des a. G. in derselben Region nachweisen kann, wenn man sich den Umstand zunutze macht, daß Töne von bestimmter Klangfarbe in der Regel viel schwerer erkannt werden als andere; meist bereiten gesungene Töne besondere Schwierigkeit, während die Erkennung von Klavier-urtd Geigentönen leicht zu fallen pflegt. Man kann dabei sehr leicht nachweisen, daß der Beobachter bei gesungenen Tönen nach der Höhe, bei Klavier- und Geigentönen dagegen vor allem nach der Qualität urteilt" (Nr. 19, S. 134), so möchte ich fragen: "Wie soll dieser Beweis geführt werden? und warum gibt R. nicht den Beweis?" Singtöne sind schon aus dem Grunde sehr viel schwerer zu beurteilen, weil sie in allen nur möglichen Tonzwischenstufen angegeben werden können und infolgedessen nicht entfernt die Bestimmtheit der Töne eines in fester Stimmung stehenden Instrumentes besitzen.

Endlich sei noch auf eine Bemerkung von R. hingewiesen. "Abgesehen vielleicht von den ganz unmusikalischen Menschen bin ich der Überzeugung, daß alle Menschen imstande sind, Töne nach absoluter Höhe mit Hilfe der Tonhöhenerkennung zu beurteilen." (Nr. 19, S. 135.) Hierzu ist zu sagen, daß die absoluten Tonurteile der nicht mit dem a. G. begabten Menschen, die nach Untersuchungen von R. Fehler mit einer mittleren Abweichung von einer Terz oder Quart machen, wegen der damit verbundenen Unsicherheit, Zufälligkeit und Ungenauigkeit für die musikalische Praxis völlig wertlos sind.

b) A. Wellek unterscheidet drei Typen des a. G.: 1. das Tonhöhengehör, 2. das Tonqualitätengehör und 3. das Tonfarbengehör.

Im ersten Falle vergreift sich der Absoluthörer-- nach A. Wellek-- manchmal um einen kleinen Tonschritt: einen Halb- oder Ganzton. Im zweiten, selteneren verwechselt er nie einen Ton mit seinen näheren und nächsten Nachbarn, er kann jedoch um eine reine Quint oder Quart fehlgehen. Im dritten Falle "handelt es sich um mehr oder minder ausgesprochenes und lebhaftes Doppelempfinden, z. B. eben um Farbenhören ("audition colorée"), das dem Hörer bei einigen Tönen eindringliche und unzweideutige Farben ("Photismen") vors Auge oder ins Gedächtnis ruft, bei. anderen aber nicht, so daß er also in gewissen Klanggebieten sicherer ist als in gewissen anderen urteilt." (Nr. 26, S. 421/22.)

Zu Fall 1 und 2 möchte ich bemerken, daß ich-- wie Tab. VI (S. 38) zeigt-- bei keiner meiner Vpn. die scharfe Scheidung zwischen Halb- und Ganztonfehlern einerseits und reinen Quintfehlern andererseits habe feststellen können. Vielmehr kamen in sämtlichen Fällen beide Fehlergruppen nebeneinander vor. Meine Versuche bieten mir somit keine Möglichkeit, aus dem Vorhandensein der reinen Quintfehler einen besonderen Typ des a. G. herzuleiten.

Bezüglich des dritten Typus, dem des Tonfarbengehörs, teilt mir Herr Dr. We11ek liebenswürdigerweise mit, daß ihm ein rein ausgeprägter Fall dieser Art bisher nicht bekannt geworden ist. Da sich auch unter meinen Vpn. kein Vertreter dieses dritten Typus befand, möchte ich die Frage nach dessen Existenz offen lassen.

Die Aufstellung des synoptischen Typus als eines besonderen Typus des a. G. will mir erst dann als notwendig erscheinen, wenn durch exakte Untersuchungen erwiesen worden ist, daß den Farberscheinungen tatsächlich eine Funktion bei der Tonerkennung zukomme. Der Fall Dörken wäre nur sehr bedingt einem solchen Typus zuzurechnen; teilte mir doch Herr D. freundlichst mit, daß bei ihm Ton und Farbe gleichzeitig ins Bewußtsein treten und eine unlösliche Einheit bilden. Die Frage, ob er die Töne an den Farben oder doch wesentlich an den Farben erkenne, habe danach für ihn keinen Sinn.

Zusammenfassung der wichtigsten allgemeingültigen Ergebnisse

a) Tonerkennung

1. Die Töne der eingestrichenen O. werden am leichtesten erkannt; darauf folgen, bei Anordnung aller O. von unten nach oben in einer waagerechten, geraden Linie, gleichmäßig abwechselnd, je eine O. rechts, dann eine links.

(Dieser Satz ergibt sich in gleicher Weise sowohl aus den Fehlerzahlen, als auch aus den RZ.)

2. Die sieben Töne der G-Dur-Tonleiter genießen hinsichtlich ihrer Erkennbarkeit gegenüber den von ihnen durch einfache Versetzungszeichen (#,b) abgegleiteten Tönen, sofern diese nicht selber wieder der G-Dur-Leiter angehören (his = c, eis = f, ces = h, fes = e), eine unbestrittene Vorrangstellung.

Auf das Klavier angewandt: Die Töne der weißen Tasten werden besser erkannt als die der schwarzen.

3. Der Halbtonfehler wird am häufigsten begangen. Er übertrifft an Zahl alle übrigen Fehler zusammengenommen.

4. Unter den Halbtonfehlern kommt der nach oben gerichtete (z. B. RT.: g; Urteil: gis) etwa dreimal so oft wie der nach unten weisende (z. B. RT.: g; Urteil: ges) vor.

5. Dem schrittweisen Ansteigen der Intervalle bis zur verminderten Quint entspricht ein schnelles Absinken der Fehlerzahlen.

6. Auf den Tritonus, als das harmonisch entfernteste Intervall, entfallen die wenigsten F.

7. Der Quotient, gebildet aus der Zahl der nach oben gerichteten F. durch die der nach unten gerichteten, ist am größten bei den Halbtonfehlern, von da an fällt er beständig.

8. Ist ein Ton einmal falsch benannt worden, dann zeigt das Falschurteil sehr oft die Tendenz zu einer kürzeren oder längeren Perseveration.

9. Das a. G. schließt keineswegs eo ipso ein ausgezeichnetes Intervallgehör mit ein. Wenn auch beide häufig in enger Verbindung auftreten, so kommen doch oft genug Fälle vor, in denen ein mangelhaftes Intervallgehör neben einem guten a. G. besteht.

10. Je zuverlässiger das a. G. eines Menschen ist, desto kürzer sind seine für die Tonerkennung benötigten Reaktionszeiten.

11. Je besser ein Ton erkannt wird, desto kürzer ist die dafür benötigte RZ.

12. Unter Zugrundelegung einer aus Fehlerzahlen und Reaktionszeiten kombinierten Tonrangordnung ergibt sich, daß A der am besten und B der am schlechtesten erkannte Ton ist.

13. Die Nichtbestimmbarkeit eines Tones, der mit dem Gehörapparat gut aufgefaßt werden kann, ist eine Erscheinung, die einen mehr subjektiven augenblicklichen Hemmungscharakter trägt.

14. Ein für nicht bestimmbar erklärter Ton wird bei sich wiederholenden Beurteilungen in der Regel falsch benannt. Die Unsicherheit des Gedächtnisses an den Stellen dieser Töne ist eine Dauererscheinung.

15. Bei mehrfacher Bestimmung der als nicht bestimmbar bezeichneten Töne bereitet sich häufig das Nichtbestimmbarkeitsurteil durch eine Verlängerung der für diesen Ton benötigten RZ. vor.

16. Ist das Nichtbestimmungsgefühl überwunden, dann verringern sich in den meisten Fällen die für diesen Ton benötigten RZ.

b) Tonangabe durch Singen oder Pfeifen

17. Bei der stimmlichen Angabe von gewünschten, mit Namen bezeichneten Tönen überwiegen bei weitem die nach unten gerichteten Fehler. (Dieser Satz stellt das notwendige Korrelat zu dem unter 4. angeführten Satze dar.)

c) Tonerkennung und Tonangabe

18. Es gibt zwei Typen des a. G., den unipolaren und den bipolaren Typ.

Die dem unipolaren Typ angehörigen Personen sind nur imstande, klanglich angegebene Töne richtig zu bestimmen. Die Vertreter des bipolaren Typus vermögen sowohl klanglich angegebene Töne richtig zu beurteilen, als auch mit Namen bezeichnete Töne durch Singen oder Pfeifen richtig anzugeben.

Zweiter Abschnitt:  Der Fragebogen

(siehe Anhang III)

Da die Auswertung der Vr. nur die Beantwortung und Klärung eines beschränkten Fragenkomplexes gestattet, wurde eine Anzahl weiterer Fragen, in einem Fragebogen zusammengefaßt, den Vpn. zur Beantwortung vorgelegt. Der Wert der auf diese Weise gewonnenen Ergebnisse muß in mancher Hinsicht als begrenzt bezeichnet werden. Schon die experimentelle Untersuchung zeigte, daß die Vpn. hinsichtlich ihres a. G., namentlich was seine Sicherheit anbelangt, häufig Selbsttäuschungen unterliegen. Manche Frage verlangt zu ihrer Beantwortung eine Kenntnis der Materie oder eine Übung in der psychologischen Selbstbeobachtung, wie sie nicht ohne weiteres bei jeder Vp. als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Nicht selten kommt es auch vor, daß eine Antwort nur der Vollständigkeit halber und nicht auf der Grundlage einer genügend langen und sicheren Selbstprüfung gegeben wird. Kurz, die Antworten entziehen sich der genauen Nachprüfung. Trotz dieses Mangels lassen sich viele Probleme nur auf Grund der Fragebogenmethode einer Klärung entgegenführen. Die wichtigsten der auf diese Weise gewonnenen Ergebnisse bietet dieser Teil der Untersuchung. Die erschöpfende Behandlung der darin berührten Fragen stellt eine so umfangreiche, zeitraubende Arbeit dar, daß selbst der Versuch hierzu unterbleiben mußte.

1. Beobachtungen über das erste Auftreten und die Entwicklung des a. G.

Das a. G. beruht auf einem Anlagefaktor, der ein Geschenk der Natur ist. Man muß annehmen, daß sich einzelne Töne, zumeist werden es wohl Klaviertöne sein, wenn sie nur oft genug gehört worden sind, als Individualitäten dem musikalischen Gedächtnis der mit dieser Gabe ausgestatteten Personen, auch ohne Kenntnis der den Tönen zugehörigen Namen, einprägen, wie man z. B. auch eine ganze Anzahl von Pflanzen und Blumen genau kennt, ohne sie jedoch mit ihrem Namen bezeichnen zu können. Dieses früheste Entwicklungsstadium wird sich in den allermeisten Fällen der Beobachtung entziehen. Für die genaue Erforschung des a. G. ist es von der größten Wichtigkeit. Hier harren noch ganze Fragenkomplexe der exakten Untersuchung. Es seien nur einige Fragen herausgegriffen:

Wie macht sich das Vorhandensein der von dem Gedächtnis bereits sicher erfaßten Tonindividualitäten bemerkbar? Wieviel Zeit ist für die Einprägung dieser noch namenlosen Tonindividualitäten erforderlich? In welcher Anzahl und Reihenfolge setzen sie sich im Gedächtnis fest? Welch ein Tonbereich kann auf diese Weise gedächtnismäßig erfaßt werden? Von welcher Dauer und Zuverlässigkeit ist die Einprägung? usw.

Aber auch die nun folgende Entwicklungsstufe des a. G., auf der zwischen den Tonindividualitäten und den Tonnamen feste Assoziationen gestiftet werden, findet nur selten die erforderliche Beachtung. Das mit dem a. G. begabte Kind weiß nicht, daß seine Fähigkeit zur absoluten Tonbestimmung eine Ausnahmebegabung darstellt. Es hält sie für etwas Selbstverständliches und setzt sie, falls es sich überhaupt darüber Gedanken machen sollte, auch bei den übrigen Menschen voraus. Besitzen die Eltern oder der Musiklehrer nicht ein eigens auf dieses Naturgeschenk gerichtetes Interesse, kann es Jahre hindurch verborgen bleiben. Nur so ist es zu verstehen, daß eine ganze Anzahl meiner Vpn. an diese Zeit der Bildung und Entwicklung ihres a. G. entweder gar keine oder doch nur recht lückenhafte Erinnerungen hat.

Im folgenden sei zusammengestellt, was ich hierüber in Erfahrung bringen konnte:
Frl. R. Beyer: Klavierunterricht seit dem 10. Jahr-- erinnert sich, beim Musikunterricht in der Schule sofort die Tonarten erkannt zu haben-- als besondere Gabe erst im 16. Jahre im Konservatorium festgestellt.

Herr A. Burmeister : spielt Handharmonika seit dem 4., Geige seit dem 9., Klavier seit dem 10. und Orgel seit dem 18. Jahre-- glaubt von seiner Begabung vom 11. Jahre an zu wissen.

Frl. M. Flügge: Klavierunterricht seit dem 7. Jahr-- a. G. sehr früh von der Klavierlehrerin festgestellt-- konnte die Töne der weißen Tasten bereits absolut bestimmen, noch ehe sie die Namen für die schwarzen kannte.

Herr H. Hampf : Klavierunterricht seit dem 5. Jahre-- weiß seit dem 10. Jahr um seine Begabung-- hält es für wahrscheinlich, daß sein Vater bereits in der frühesten Kindheit darauf aufmerksam geworden sei.

Frl. I. Hansen: Klavierunterricht seit dem 9. Jahr-- a. G. bald darauf vom Bruder bemerkt.

Herr Hans Kagel: spielt Geige seit dem 14. Jahr (Autodidakt), außerdem Trompete und Flöte, entsinnt sich, im Alter von 15 Jahren mit großer Freude bemerkt zu haben, daß er Tonarten zu erkennen vermochte. (Äußerung zu einem anderen Blinden: "Karl, das ist F-Dur.")

Frl. M. Keller: Klavierunterricht seit dem 12. Jahr-- a. G. nach 5 Jahren Musikunterricht beim Musikdiktat im Konservatorium festgestellt.

Frl. L. Knaack : Klavierunterricht seit dem 6. Jahr-- a. G. im 16. Jahre von Herrn Prof. Sittard festgestellt.

Frau A. Krey : Klavierunterricht seit dem 6. Jahr-- a. G. erst im 16. Jahre gelegentlich des "Vom - Blatt - Singens" im Kindergärtnerinnen-Seminar beachtet.

Herr O. Lindenberg: Cellounterricht seit dem 5., Geigenunterricht seit dem 10. Jahre-- a. G. vom Vater, der es auch hatte, frühzeitig bemerkt.

Herr Aug. Möller: spielt Violine und Klavier seit dem 6. Jahre-- a. G. im 12. Jahre von Prof. J. v. Bernuth festgestellt.

Frl. A. Moor: Klavierunterricht seit dem 5. Jahre-- a. G. nach etwa einem Jahre vom Vater bemerkt.

Herr T h. Mumm: Klavierunterricht seit dem 8. Jahre-- a. G. zuerst von den Angehörigen nach etwa 1/2 Jahre Musikunterricht bemerkt.

Herr O. Nerong : Klavierunterricht seit dem 10. Jahre-- a. G. bald danach dem Vater aufgefallen.

Frau M. Pos-Carloforti: Klavierunterricht seit dem 7. Jahre-- vermag Angaben über Auftreten und Entwicklung des a. G. nicht zu machen.

Frl. A. Runge : Klavierunterricht seit dem 4. Jahre-- a. G. schon früh vom ersten Musiklehrer bemerkt.

Herr R. Sager : Klavierunterricht seit dem 14. Jahre-- a. G. seinem Klavierlehrer nach etwa 2 Jahren aufgefallen, ist auf seine Begabung selber erst durch meine Untersuchung aufmerksam gemacht worden.

Frl. Gr. Stein: Klavierunterricht seit dem 10. Jahre-- a. G. im 16. Jahre beim Musikdiktat im Konservatorium festgestellt.

Frau T. Stein: Klavierunterricht seit dem 7. Jahre-- a. G. schon im 5. Jahre von den Eltern bemerkt (der seltene Fall, daß diese Gabe schon vor dem eigentlichen Musikunterricht beachtet wurde).

Frau E. Weiß-Mann: Klavierunterricht seit dem 6. Jahre-- hat keine Erinnerung an die Zeit der Bildung und ersten Beachtung ihres a. G.
Mehreren meiner Vpn. verdanke ich genauere Angaben über ihre Kindheitserinnerungen betreffs des a. G. Einige davon, namentlich die, die sich auf das Vorhandensein dieser seltenen Gehöranlage und deren Entwicklungsstadien beziehen, seien wörtlich angeführt.

Frl. M. Flügge: Nach Angabe meiner Eltern fing ich mit zwei Jahren an, was ich an Melodien hörte, anfangs mit einem Finger, nachzuspielen, etwas später mit harmonisch richtiger Begleitung durch die andere Hand. Als ich zur Schule kam, kannte ich nur erst die weißen Tasten, von denen ich aber bei Gehörsprüfungen jede absolut erkannte. Mein Schulgesanglehrer, von meiner Klavierlehrerin auf mein a. G. aufmerksam gemacht, ließ mich oft vor den oberen Klassen mein a. G. sozusagen "vorführen", wodurch mir bewußt wurde, daß es eine seltene Begabung ist.

Herr H. Hampf : Mein verstorbener Vater erzählte mir früher öfter, daß ich bereits als 2jähriges Kind imstande gewesen sei, mir am Klavier vorgespielte Melodien ganz genau nachzusingen. Als ich 5 Jahre alt war, nahm er mich einmal mit ins Theater; man gab die Operette "Der Graf von Gleichen-- auf dem Nachhausewege sang er mir Melodien daraus vor, aber ungenau und fehlerhaft. Ich verbesserte ihn sofort und sagte: "Nein, Papa, so war die Melodie"-- und sang sie ihm dann richtig vor.

Frl. A. Moor: Mein Vater gab mir, als ich 5 Jahre alt war, den ersten Klavierunterricht. Mir machte der Unterricht viel Freude und gar keine Schwierigkeit. Ich hatte es gern, wenn mein Vater mir abends, wenn ich im Bett lag, vorspielte. Als ich 6 Jahre alt war, fing ich eines Abends an, ihm vom Bett aus die Fehler zuzurufen, die er machte. Ich entsinne mich, daß mein Vater damals eine Troubadour-Fantasie und das "Blumenlied" von Lange spielte. Ich nannte die Töne, die mein Vater falsch gespielt hatte, und wie es richtig heißen müßte. Da wurde mein Vater stutzig und schlug einzelne Töne und dann auch Akkorde an, die ich richtig benennen konnte.

Frl. A. Runge : Als ich noch nicht gehen konnte, mußte der hohe Kinderstuhl dicht ans Klavier gestellt werden, damit ich Töne anschlagen konnte. Als ich-- 6 Jahre alt-- einmal eine Melodie spielen hörte, konnte ich die Tonart bestimmen. Mit 5 Jahren erhielt ich die erste Klavierstunde, die mir aber nicht in allzu guter Erinnerung geblieben ist. Ich wollte frei nach meinem Willen musizieren. Vom 8. Lebensjahre an bemerkte ich eine Verfeinerung meines a. G. Früher war ich recht unsicher im Bestimmen von Tönen der schwarzen Tasten; allmählich konnte ich auch viel sicherer eine Melodie in jeder Tonart spielen.-- Ein ganz eigenes Gefühl ist es, eine Melodie im innern Ohr zu hören. Manchmal meine ich, es zöge sich ein feiner Nerv zur Schläfengegend hin, und dort werde dann die Tonart bestimmt.

Frau T. Stein: Meine Kindheitserinnerungen bezüglich des a. G. beschränken sich darauf, daß sich eines Tages-- ich mag damals 4 Jahre alt gewesen sein-- herausstellte, daß ich das a. G. besaß. Von da ab stellte mein Vater in kurzen Zwischenräumen Übungen mit mir an. Es wurden zuerst nur einzelne Töne probiert, zu Akkorden ging mein Vater erst über, als ich 8-10 Jahre alt war. Da er dachte, daß ich von einem Ton aus den folgenden feststelle, spielte er zwischen beiden immer einen undefinierbaren Akkord, doch diese Vorsichtsmaßregel war gänzlich unnötig, da ich nie von einem Ton auf den anderen schloß. Daß das a. G. etwas Seltenes ist, verstand ich erst in der Klavierstunde mit ungefähr 10-12 Jahren.-- Wie ich den Ton bestimme, kann ich nicht angeben; im Moment des Anschlagens höre ich gleichzeitig Tonhöhe und Lage (ob a' oder a'').

Herr H. Kage1 vermochte über den sicheren Erwerb des a' und c' genaue Angaben zu machen. Bei einer Nachmittagaufführung des "Nachtlager von Granada", Silvester 1897, im Kieler Stadttheater, erwarb ich beim Einstimmen der Instrumente durch den Klang der Oboe das a'. Das war der erste Ton, der mir einzeln fest wurde. Ich hörte dann bald, wenn ein Klavier zu hoch oder zu tief stand. Im Februar 1898 wurde eine Faust -Phantasie geübt, mit dem Lied Siebe1s "Blümlein traut" in C-Dur, seit der Zeit behielt ich das C fest im Gedächtnis.

2. Vererbung des a. G.

In ihrer Arbeit "Über die Erblichkeit der musikalischen Begabung" kommen V. Haecker und Th. Ziehen auch auf die Erblichkeit des a. G. zu sprechen. (Nr. 7, S. 243-47.) Die hierüber gemachten Angaben sind jedoch zu unsicher, um als sichere Grundlage für die Erforschung der Erblichkeitsfrage dienen zu können. Die Verfasser schreiben: "Wir sind selbstverständlich weit davon entfernt, anzunehmen, daß alle diese Personen auch wirklich a. T. (absolutes Tongedächtnis) im wissenschaftlichen Sinne besitzen. Es ist ja längst bekannt, daß Personen, die angeblich über a. T. verfügen, bei einer sachverständigen Untersuchung gelegentlich völlig versagen... Eine Prüfung unsererseits konnte nur in wenigen Fällen vorgenommen werden." (Nr. 7, S. 238.) Es sei deshalb auf nähere Angaben aus dieser Arbeit verzichtet.

Wenn auch fast alle meine Vpn. die Frage nach der Erblichkeit ihres a. G. dahin beantworten, daß die Eltern musikalisch oder sehr musikalisch seien resp. gewesen seien, so ließ sich doch eine direkte Vererbung nur in zwei Fällen feststellen:

1. Herr Lindenberg gibt an, daß sein Vater, der Berufsmusiker war, das a. G. besaß. Von 10 Geschwistern hat es sich allein auf ihn vererbt. Von 7 seiner eigenen Kinder besitzen es zwei.
2. Frl. G. Stein führt ihr a. G., das sie von zwei Geschwistern allein hat, auf eine direkte Vererbung von Seiten ihres Vaters zurück.

Herr Möller teilte mir mit, daß er von Vater und Mutter nicht angeben könne, ob sie a. G. besessen haben. Von seinen drei Brüdern ist noch einer damit ausgestattet.

3. Erwerb des a. G. durch Übung

Da die Gabe des a. G., einerlei, ob unipolar oder bipolar, seinem Besitzer in musikalischer Hinsicht eine gar nicht wegzuleugnende Überlegenheit gegenüber dem Relativhörer sichert, ist es begreiflich, daß man den Mangel an angeborener Begabung durch eigens hierauf gerichtete, mit Eifer und Zähigkeit betriebene Übungen hat ersetzen wollen. Obgleich das a. G. für keine musikalische Betätigung unerläßliche Voraussetzung und Notwendigkeit ist, ist eben doch sein Besitz der Wunsch, ob eingestanden oder nicht, vieler, namentlich an sichtbarer Stelle stehender Musiker. Das Eingeständnis, es nicht zu besitzen, wird zweifellos häufig als peinlich empfunden. (Vgl. Nr. 23, I. Bd., S. 305: "Selbst ein renommierter Musikdirektor gestand es mir", nämlich-- das a. G. nicht zu besitzen.) Es kommt durchaus nicht selten vor, daß man auf die Frage nach dem Besitze dieser Fähigkeit die Antwort erhält: "Ja, ich habe sie durch Übung erworben." Solchen Äußerungen gegenüber sind berechtigte Zweifel am Platze. In allen Fällen, in denen mir diese Antwort wurde, ergab eine Nachprüfung, daß die betreffenden Personen das a. G. nicht besaßen. Sicher ist aber, daß sie sich durch Übung darum bemüht hatten. Rezepte für derartige Übungen gibt es genug. (Vgl. z. B. Naubert: "Das absolute Tonbewußtsein." Nr. 17.) Der Erfolg dürfte, trotz mancher gegenteiligen Behauptungen, recht bescheiden sein. Anders kann man auch den Erfolg nicht nennen, über den D. Katz im Bericht über den VI. Kongreß für experimentelle Psychologie (Nr. 10, S. 86-87) Mitteilungen macht.

"Die Natur", sagt Stockhausen (Stockhausen, Gesangsmethode S. 1; Peters, Leipzig 1885), "hat nur wenigen Sängern ein a. G. verliehen. Ob das relative Gehör zu einem absoluten herangebildet werden kann, weiß ich nicht. Bei mir selbst habe ich es trotz allen Fleißes nie so weit gebracht."-- Oder ein anderes Zeugnis: "Wenn aber der Komponist der B-Moll-Messe Albert Becker (Domchordirigent) bei seinem ausgeprägten Sinn für Klang und Wohlklang trotz aller Bemühungen nicht imstande gewesen ist, Tonhöhen frei zu bestimmen, müssen die Versicherungen (von Dalcroze), jedem Schüler in einiger Zeit diese Fertigkeit zu vermitteln, bedenklich erscheinen. Was bei Jacques Dalcroze die Methode bei allen Schülern in einiger Zeit vermitteln will, hätte die starke natürliche Begabung vereint mit dem Mannesfleiß Beckers zum mindesten gleichfalls zeitigen müssen, wenn-- ja wenn sichs eben so leicht erlernen ließe," schreibt A. Liebscher (Nr. 14). Von der Unfruchtbarkeit der Übung ist auch v. Kries überzeugt: "Ich bin daher im Grunde geneigt zu glauben, daß in bezug auf das absolute Tongedächtnis individuelle Anlage alles und Übung so gut wie nichts ausmacht. Mir ist auch trotz allen Nachforschens kein Fall bekannt geworden, in dem ein wirkliches a. G. nachweisbar durch Übung erworben worden wäre." (Nr. 12, S. 261.) Bemerkt sei noch, daß es v. Kries selber nicht gelungen ist, sein unipolares a. G. durch Übung zu einem bipolaren heranzubilden.

Was nun meine Vpn. betrifft, so hat nicht eine einzige Übungen irgendwelcher Art zur Erlangung dieser Fähigkeit betrieben. Sie erklären sämtlich, daß sich ihr a. G. als eine völlig unbeabsichtigte Begleiterscheinung ihrer musikalischen Betätigung zeigte. Alles Spielen eines in fester Stimmung stehenden Instrumentes ist, die erforderliche Naturanlage vorausgesetzt-- mag diese nun in einer feineren Differenzierung der Fasern im Labyrinth oder der Ganglienzellen in der Hörsphäre bestehen-- zugleich auch eine Übung und Bildung des a. G. Wenn beispielsweise ein Orchestermusiker, der täglich soundso viele Stunden sein in Normalstimmung stehendes Instrument spielt, nicht dahin kommt, sich den Klangcharakter von zwölf Tönen gedächtnismäßig einzuprägen, so ist nicht recht einzu
sehen, welche musikalische Übung ihm hierzu verhelfen sollte.

4. Häufigkeit des a. G. und seine Verteilung auf die Geschlechter

Gesicherte Angaben über die prozentuale Häufigkeit des a. G. gibt es m. W. in der gesamten einschlägigen Literatur nicht. Es würden dazu sehr umfangreiche statistische Erhebungen und Nachprüfungen erforderlich sein. Das Zahlenmaterial, das V. Haecker und Th. Ziehen in dieser Beziehung bieten, ist nach der Verfasser eigener Meinung zu unsicher fundiert. Sie glauben ermittelt zu haben, daß die Zahl bei der relativ musikalischen Bevölkerung Nordthüringens selbstverständlich sehr beträchtlich unter 12% liegt. (Nr. 7, S. 239.) Wenn Felix Auerbach schreibt, es soll "... vielmehr schlank zugegeben werden, daß es ein absolutes Tonbewußtsein gibt und daß es-- was sicherlich schon zu reichlich bemessen ist-- unter zehn Schusterjungen einer besitzt", so wird er diese Äußerung gewiß nur als eine mehr scherzhafte Bemerkung gewertet wissen wollen. (Nr. 4, S. 109.)

Was ich von meinen Vpn. im Hinblick auf die Häufigkeit dieser Begabung in Erfahrung bringen konnte, sei nachstehend mitgeteilt.

Herr Lindenberg sagte mir, daß er das a. G. von etwa 85 Musikern der Braunschweiger Hoftheaterkapelle ganz allein besessen habe. In der Theaterkapelle, der er jetzt angehört, die allerdings wesentlich kleiner ist, besitze er es ebenfalls allein.

Herr Möller, der vor 40 Jahren das Bernuth sche Konservatorium in Hamburg besucht hat, entsann sich, daß von etwa 400 Besuchern des genannten Musikinstitutes drei Personen, darunter er, im Besitz des a. G. gewesen seien.

Im Seminar des Vogt schen Konservatoriums zu Hamburg besaßen es z. Zt. meiner Gehörsuntersuchung von etwa 100 Seminaristen zwei Personen, nämlich meine Vpn. Frl. A. Runge und Frl. M. Keller.

Eine besonders wertvolle Angabe verdanke ich der Liebenswürdigkeit des Dirigenten der Hamburger Philharmonie, Herrn Kapellmeister Eugen Pabst. Auf meine Anfrage teilte er mir freundlichst folgendes mit:

1. Das Philharmonische Orchester zu Hamburg besteht aus 95 Musikern.
2. Das a. G. besitzen außer meiner Wenigkeit die Herren: Konzertmeister Jan Gesterkamp und Herr D a u (3. Hornist).
3. Die genannten Herren sind auch imstande, gewünschte Töne frei anzugeben.

Wenn man bedenkt, daß sich ein Orchester wie die Hamburger Philharmonie oder eine große Hoftheaterkapelle aus einem ausgesucht guten Musikermaterial zusammensetzt, und daß auch die Besucher der genannten Musikinstitute einen doch recht gesiebten Personenkreis darstellen, wird man die angeführten Zahlen, wenn sie auch leider nicht als eine geeignete Grundlage für die Errechnung der prozentualen Häufigkeit des a. G. im Hinblick auf die Gesamtbevölkerung benutzt werden können, immerhin als ein Zeugnis für die Seltenheit dieser Begabung anzusehen haben.

Über die Verteilung des a. G. auf die beiden Geschlechter liegen bisher gleichfalls nur Vermutungen vor. Stumpf meint: "Besonders selten scheint die Fähigkeit bei Frauen zu sein, während das Gedächtnis für Reden bei weiblichen Schauspielern besser sein soll als bei männlichen." (Nr. 23, Bd. I, S. 286.)

V. Haecker und Th. Ziehen bemerken zu dieser Frage: "Natürlich ist auch bezüglich der Verteilung des absoluten Tongedächtnisses auf die beiden Geschlechter aus unseren Zahlen-- 50 männlich, 14 weiblich-- kein sicherer Schluß zu ziehen; denn man muß daran denken, daß bei den zahlreichen Fragebogen, die von Berufsmusikern ausgefüllt worden sind, relativ oft nur das a. T. des Ausfüllenden selbst vermerkt worden ist. daß infolgedessen die Zahl der weiblichen Individuen zu kurz gekommen ist. Zur Erklärung des geschlechtlichen Unterschiedes reicht aber dieser Faktor doch wohl kaum aus. Es bleibt vielleicht doch das männliche Geschlecht im Übergewicht." (Nr. 7, S. 239.)

Rechne ich zu dem von mir untersuchten Personenkreis, dessen Zusammensetzung, wie schon an anderer Stelle bemerkt, eine rein zufällige war, diejenigen hinzu, die mir als Besitzer des a. G. bei Fortsetzung der Versuche evtl. noch zur Verfügung gestanden hätten, so wären es insgesamt 13 Damen und 13 Herren gewesen. Danach würde sich die Gabe des a. G. gleichmäßig auf die Geschlechter verteilen. Selbstredend wollen diese Zahlen nur als ein kleiner Beitrag zur Lösung der angeschnittenen Frage gewertet sein.

5. Absolutes Gehör und Transposition

Es wird häufig als ein Nachteil des a. G. bezeichnet, daß der damit Begabte Schwierigkeiten beim Transponieren habe. Es werde ihm, so sagt man, z. B. sehr schwer fallen, wenn nicht gar unmöglich sein, ein Lied, dessen Noten er vor Augen habe, jn einer anderen als der notierten Tonart richtig zu singen. Felix Auerbach meint: "Wenn er (der mit dem a. G. begabte Musiker) dagegen ein Lied, weil es ihm in Transposition begleitet wird oder weil ihm transponierte Noten vorgelegt werden, falsch oder auch nur unsicher singt, selbst wenn ihm der erste Ton richtig angegeben worden ist, oder wenn er auf einem anders gestimmten Instrument, sei es Orgel oder Flügel, an einem ihm bekannten Musikstück scheitert, so ist er-- man muß es ohne Umschweife sagen-- eminent unmusikalisch, und sei sein absolutes Tonbewußtsein auch so fein, daß er sich vor einer internationalen Psychologenversammlung mit erstaunlichem Erfolge produzieren könnte." (Nr. 4, S. 111.) Daß hier für den Absoluthörer Schwierigkeiten bestehen, soll keineswegs geleugnet werden. Völlig falsch aber ist es, wenn Auerbach daraus die Schlußfolgerung auf eine eminente Unmusikalität zieht. Diese Schwierigkeiten sind lediglich ein Beweis dafür, daß sich zwischen Klang und Notenbild Assoziationen gebildet haben, die nicht so leicht gelöst werden können. Da sie bei demjenigen, der nur relativ zu hören vermag, gar nicht vorhanden sind, kann ihn auch die Verlegung eines Gesangstückes in eine andere Tonart nicht aus dem Geleis bringen. Transposition ist und bleibt Übungssache-- auch für den Absoluthörer. Nur besitzen eben viele von ihnen diese Übung nicht, da sie hierzu nicht ernstlich genötigt gewesen sind. Die erste Übung im Transponieren ist übrigens für jeden Klavierspieler das Lesen der Noten im Baßschlüssel. Johannes Kobelt erzählt aus seinen Erinnerungen an Max Reger: "Er äußerte, daß es ihm sonderlich in seiner Jugend unbehaglich gewesen sei, wenn Ton und Wortbild nicht übereinstimmten. Das Gefühl habe sich aber mit wachsender Vertrautheit in den alten Schlüsseln fast verloren." (Nr. 11, S. 172, Anm. 1.)

Herr Lindenberg teilt mir mit, daß für jeden Musiker Sicherheit im augenblicklichen Transponieren die Voraussetzung für den Eintritt in ein großes Orchester sei. Ihm selbst bereite das Umdenken in eine andere Tonart keinerlei Schwierigkeiten, natürlich müsse es gelernt sein.

Daß diese Schwierigkeiten je nach dem Grad der Veranlagung hierfür von Person zu Person verschieden groß sind, bedarf wohl kaum der Erwähnung.

Die meisten meiner Vpn. geben an, daß ihnen die Transposition keine Klippen biete, namentlich dann nicht, wenn ihnen das betreffende Musikstück gut bekannt sei. Die wenigen, die aussagen, daß ihnen diese Aufgabe unangenehm sei und sie auch zur fehlerhaften Wiedergabe verleiten könne, sind in erster Linie diejenigen, die berufsmäßig die Sangeskunst ausüben. Herr Kage1 machte die Beobachtung, daß er, wenn er genötigt ist, in einer transponierten Tonart zu singen, das Gefühl habe, als ob sich sein "Ich" verdoppele. Er höre gewissermaßen die Singstimme neben sich noch einmal, und zwar in der Originaltonart. Im besonderen Maße unangenehm seien ihm sogenannte Potpourris, da die Aneinanderreihung der Melodien sehr häufig deren Transposition erfordert.

Eine Beeinträchtigung des musikalischen Genusses bedeutet für viele meiner Vpn. das Anhören eines transponierten Musikstückes, wenn es ihnen in einer anderen Tonart vertraut geworden ist. Doch pflegt sich das Gefühl des Unbehagens und das Gefühl einer gewissen Unruhe, das im Anfang recht unangenehm sein kann, im weiteren Verlaufe der Darbietung ganz zu legen. Bei einer mehr verstandesmäßigen Einstellung taucht dieses Gefühl gar nicht auf. So schreibt z. B. Frau Weiß-Mann: "Ich stelle fest: zu hoch oder zu tief, und zwar E-Moll statt G-Moll usw., ein Gefühl stellt sich nicht ein."

Mehrere der Vpn. geben aber auch an, daß die Transposition ein Musikstück in eine neue, reizvollere Beleuchtung zu rücken vermag. In diesem Sinne äußert sich Herr Burmeister : "Die Transposition bedeutet für mich zumeist etwas Neues, Interessantes. Sie erfordert nur eine andere, für mich aber leicht zu vollziehende Einstellung."

Zusammenfassend muß jedenfalls gesagt werden, daß der Nachteil, den unter Umständen das a. G. im Hinblick auf die Transposition einem Absoluthörer bedeuten kann, gegenüber den mit dieser Gabe verbundenen Vorzügen überhaupt nicht ins Gewicht zu fallen vermag.

6. Korrelationendes a. G. zu einzelnen Komponenten der Musikalität

Die Aufteilung der Musikalität, als einer einheitlich gestalteten Anlage, in einzelne Komponenten ist ohne eine gewisse Willkür nicht zu bewerkstelligen, namentlich wird die Festlegung auf eine bestimmte Komponentenanzahl immer anfechtbar bleiben. Die folgende Aufzählung greift einige der wichtigsten Komponenten heraus: Intervallgehör, Gehör für minimale Tondifferenzen, Gedächtnis für Melodie, für Harmonie, für Rhythmus, Begabung zur musikalischen Reproduktion, wozu u. a. neben einer außergewöhnlichen manuellen Geschicklichkeit eine große Einfühlungsfähigkeit in die verschiedenen Zeitstile und in den individuellen Stil der einzelnen Komponisten gehört, Begabung zu musikalischer Produktion, die wieder mehr nach der melodischen, der harmonischen und der rhythmischen Seite liegen kann, und die, namentlich für den Komponisten von Orchesterwerken, den Sinn für die Mischung der spezifischen instrumentalen Klangfarben einzuschließen hat.

Wie ersichtlich, handelt es sich bei diesen Komponenten keineswegs um letzte, einfache Teilstrahlen der Musikalität, vielmehr um überaus fein gegliederte Teilkomplexe. Die Beantwortung der Frage nach den Korrelationen des a. G. zu ihnen macht umfangreiche Sonderuntersuchungen, in denen zuerst das Vorhandensein dieser Komponenten bei den betreffenden Vpn. festzustellen wäre, erforderlich. Gerade hier kann die Selbstbeurteilung wegen der unvermeidlichen Selbsttäuschungen nur als ein recht mangelhafter Ersatz angesehen werden. Es sollen deshalb an dieser Stelle nur Korrelationen des a. G. zu solchen Komponenten besprochen werden, deren Feststellung wenig Schwierigkeiten bereitet.

a) Musikalisches Gedächtnis

Von den einzelnen Seiten der Musikalität scheint mir das musikalische Gedächtnis am häufigsten in Verbindung mit dem a. G. aufzutreten, was wohl darin seinen Grund hat, daß das a. G. ja selber Sache des Gedächtnisses, eben des Gedächtnisses für die einzelnen Tonindividualitäten, ist.

Von 20 Vpn. geben 15 an, daß sie über ein gutes musikalisches Gedächtnis verfügen. Bei keiner von ihnen würde eine etwaig eingeschlagene Virtuosenlaufbahn, die bekanntlich an das Gedächtnis erhebliche Ansprüche stellt, aus einem Mangel an dieser Begabung scheitern.

In zwölf von diesen Fällen werden Melodie, Harmonie und Rhythmus in gleicher Weise gut behalten. Frl. Knaack gibt an, daß sie ein weniger gutes Gedächtnis für Melodie, aber ein ausgezeichnetes für Harmonie und Rhythmus besitze. Sie habe ihrem Klavierlehrer, Herrn Prof. Sittard , 2 1/2 Stunden lang Bach sche Klavierwerke auswendig vorgespielt. Frau Krey hat ein gutes Gedächtnis für Melodien und Rhythmus, ein weniger gutes dagegen für Harmonien. Bei Frl. Keller ist das Gedächtnis für Melodien gut entwickelt, das für Harmonie und Rhythmus dagegen nicht.

Einzelne meiner Vpn. verfügen über ein ganz erstaunliches Gedächtnis. So ist z. B. Herr Musikdirektor Lindenberg imstande, die Spielopern "Martha" und "Zar und Zimmermann" aus dem Gedächtnis für großes Orchester niederzuschreiben. Harmonische Fehler würde er, wie er meint, dabei nicht begehen, dagegen könne es mal vorkommen, daß er eine Stimme von einem falschen Instrumente ausführen ließe.

Herr Burmeister vermag etwa 24 Stunden hintereinander auswendig Klavierwerke, Tänze, Märsche, Opernmelodien, Lieder und Arienbegleitungen ohne Wiederholung eines einmal gespielten Stückes vorzutragen. Herr Kage1 beherrscht gedächtnismäßig ein Programm von annähernd 400 Gesangswerken, und zwar melodisch und textlich. Die meisten der hier nicht mit Namen bezeichneten Vpn. wären gleichfalls imstande, ohne vorherige Vorbereitung mehrere Stunden lang Musikwerke auf dem Klavier vorzutragen.

Herr Kapellmeister Hampf weiß über sein Gedächtnis folgendes zu berichten: "Während meines Studiums der Harmonielehre (mit 16 Jahren) war ich imstande, vom Orchester gespielte Werke sofort aus dem Gedächtnis nachzuspielen, z. B. die Mignon-Ouvertüre, überhaupt die bekanntesten Ouvertüren und Strauß schen und Waldteufel schen Walzer, eigenartigerweise aber keine Symphonie-Sätze. Als 19jähriger Theaterkapellmeister war ich imstande, jedes Stück nach dem zweiten oder dritten Male Spielen auswendig einzustudieren. Durch eine Nervenkrankheit ließ mein Gedächtnis mit dem 26. Lebensjahr merklich nach. Im 40. Lebensjahr schien plötzlich mein Gedächtnis sich ungeahnt zu verbessern; mit unglaublicher Leichtigkeit prägte sich mir wieder jedes Musikstück ein. Ich konnte wieder alles auswendig spielen, bis durch Überarbeitung nach zwei Jahren ein Nervenzusammenbruch eintrat, nach welchem eine überaus große Gedächtnisschwäche zurück-blieb. Heute fällt es mir schwer, selbst die einfachsten Melodien, soweit sie neu sind, zu behalten."

b) Musikalische Produktivität

Von den übrigen Komponenten der Musikalität sei nur noch die Produktivität herangezogen. Auch zu ihr scheinen mir ziemlich starke Korrelationen zu bestehen. Der schaffende Künstler besitzt an dem a. G. eine überaus wertvolle Stütze. Es verleiht ihm die Unabhängigkeit vom Instrument. Wahrscheinlich sind diese größere Freiheit und die darin liegende Erleichterung mit ein Anreiz-- natürlich nicht der wesentliche-- zu kompositorischer Betätigung. Zu den produktiven musikalischen Fähigkeiten rechnet auch diejenige, auf einem Instrument zu improvisieren, eine Kunst, die noch zu L i s z t s Zeiten im öffentlichen Konzert geübt wurde, jetzt aber aus den Konzertsälen ganz verschwunden ist.

Name Kompositorische Betätigung Fähigkeit zur Improvisation:
Frl. Beyer nein nein
Herr Burmeiester ja ja; eine stark lustbetonte Betätigung
Frl. Flügg nein nein
Herr Hampf ja ja; früher stark lustbetont, heute mit Anstrengung
Frl. Hansen nein nein
Herr Kagel nein ja; beginnt die Phantasien immer mit Tristan-Motiven
Frl. Keller nein nein
Frl. Knaack nein ja; bereitet eine ganz besondere Freude
Frau Krey nein ja
Herr Lindenberg ja ja
Herr Möller ja ja
Frl. Moor ja ja; tut es aber selten
Herr Mumm ja ja
Herr Nerong ja ja; stark lustbetont
Frau Pos-Carloforti ja - als Kind ja
Frl. Runge nein ja; bei seelischen Depressionen ein Bedürfnis
Herr Sager nein ja
Frl. G. Stein nein nein
Frau T. Stein nein etwas
Frau Weiß-Mann ja nein

Es beschäftigen sich danach von den acht männlichen Vpn. sechs mit Komposition, von den zwölf weiblichen dagegen nur zwei. Da Fähigkeit zur Improvisation besitzen sämtliche männliche Vpn., von den zwölf weiblichen Vpn. sechs. Hinsichtlich der produktiven Veranlagung zeigt also unter den Absoluthörern das männliche Geschlecht ein erhebliches Übergewicht.

Die Tatsache, daß die Anlage zu musikalischer Produktivität fast ausschließlich eine Gabe des männlichen Geschlechtes ist, bedurfte, da es Komponisten weiblichen Geschlechtes von irgendwelcher Bedeutung weder gegeben hat noch gibt, eigentlich keiner Erwähnung.

Besonders energievoll tritt der Trieb zur produktiven Betätigung bei Ocke-Nerong hervor. Er hat bis zur Zeit der Gehörsprüfung etwa 60 Kompositionen niedergeschrieben. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß er keinen Unterricht in der Harmonie- und Kompositionslehre genossen, sich vielmehr die erforderlichen Kenntnisse autodidaktisch angeeignet hat. Die Kompositionen-- es sind zum großen Teil Sonatinen, Sonaten, Variationen usw.-- bewegen sich im Stile Haydns und des jungen Mozart. Herr Kapellmeister Hampf und andere sachverständige Personen, denen ich einiges davon vorlegte, fanden die Leistung für einen 14 jährigen Menschen erstaunlich.

7. A. G. und musikalisches Erleben

Zu den umstrittensten Fragen gehört die nach dem Wert und der Bedeutung des a. G. für das musikalische Erleben. Im wesentlichen war es diese Frage, die die Polemik in der "Neuen Musikzeitung", Jahrgang XXIX und XXX, heraufbeschwor, an der sich Otto Urbach, Gustav Altmann, Ludwig Riemann, Arthur Liebscher und Friedrich Müller beteiligten. Im allgemeinen kann gesagt werden, daß die Besitzer des a. G. in dieser Hinsicht leicht zu einer Überschätzung, die Nichtbesitzer dagegen zu einer Unterschätzung des Wertes der fraglichen Begabung neigen. Da das musikalische Erleben einen so reich gegliederten Komplex darstellt, daß es sich einem jeden Versuch zu einer Abwägung und Abschätzung entzieht, läßt sich das Problem kaum einer endgültigen Lösung entgegenführen. Man wird allen Äußerungen über diese Frage lediglich den Wert von individuellen Meinungen und Überzeugungen beimessen können.

Ein paar charakteristische Sätze aus dem erwähnten Federkrieg seien hier angeführt:

Otto Urbach schreibt: "Ich muß bekennen, daß ich es mir nicht recht vorstellen kann, wie sich ohne a. G. der eigenartige Farbenreiz der verschiedenen Tonalitäten darstellt;... ich kann nicht verstehen, wie sich das Anhören komplizierter Tonstücke ohne a. G. anders als eine Art Rausch darstellt, wenn ich nicht angeben kann, was ich eigentlich höre." (Nr. 24.)

Gustav Altmann antwortet darauf: "Von den meisten der mir bekannten Musiker-- und das ist eine recht stattliche Anzahl-- weiß ich, daß sie das a. G. nicht besitzen und sich dabei ganz wohl fühlen... nicht die absolute Tonhöhe einer Modulation macht ihren Effekt aus, sondern ihr Verhältnis zur Grundtonart, sei diese, welche sie wolle... das Allerwesentlichste beim akustischen Kunstgenuß scheint mir doch nicht im Tüfteln an Tonarten und Intervallen zu bestehen-- so notwendig natürlich gewisse technische Fähigkeiten für den Fachmusiker und Lehrer sein mögen, sondern im Verständnis des Geistes einer Komposition, in ihrer seelischen Wirkung. Wird mir die Apassionata darum weniger zum seelischen Erlebnis, ob ich sie mir in F- oder G-Moll vorstelle? Gewiß so wenig, wie mir die Rose lieblicher duftet, wenn ich die 20stellige organische Formel kenne, die der Chemiker aus ihrem Duft herausdestilliert hat . . Nicht das a. G., d. h. die bloße Gabe, eine Tonhöhe oder Tonart richtig zu benennen, sondern das relative Ohr, die Fähigkeit, Intervalle, Modulationen und Stimmführungen richtig zu deuten, ist die conditio sine qua non des künstlerischen Hörens." (Nr. 2.)

Ähnlich äußert sich der Ohrenarzt Friedrich Müller "Ich glaube... ., daß ein feinsinniger Musiker, der nicht das absolute Tongedächtnis besitzt, genau denselben ästhetischen Genuß von einer musikalischen Reproduktion haben kann, wie sein mit dem a. G. begabter Kollege, ja er kann vielleicht manche Aufführung, die zwar in einer ungewohnten Tonlage stattfindet, aber an sich künstlerisch vollendet ist, reiner genießen, weil er durch das a. G. nicht gestört wird." (Nr. 16.)

Von Wichtigkeit erschien mir die Frage, ob ein mit dem a. G. begabter Mensch eine größere Musikdarbietung tatsächlich so verfolgt, daß er sich über alle Tonarten und Modulationen evtl. sogar über gewisse Töne bewußt Klarheit verschafft. Von vornherein schien mir eine solche Art des musikalischen Genießens als sehr unwahrscheinlich, da sie einen verstandesmäßigen Kraftaufwand erfordert, der dem gefühlsmäßigen Erleben störend und hemmend im Wege stehen muß. Die Ansichten meiner Vpn. lauten in dieser Hinsicht fast übereinstimmend. Einige davon seien angeführt:

Herr Burmeister: "Ich versuchte eine Tristan - Aufführung in der angegebenen Weise zu verfolgen, doch ermüdete es mich derartig, daß ich darüber während der Vorstellung einschlief."

Frl. Flügge: "Ich habe es getan, da es mir aber den Genuß der Darbietung nahm, habe ich mich mit Erfolg dagegen wehren können."

Frl. Hansen: "Wenn ich ein Stück gut kenne, achte ich gar nicht darauf. Bei einem fremden versuche ich Tonart und Modulationen zeitweise festzustellen."

Herr Kagel: "Ich genieße eine Aufführung so, wie die, die das a. G. nicht besitzen."

Frau Krey: "Ich kann es, aber ich tue es nur ab und zu mal zum Sport."

Herr Möller: "Nebenbei achte ich wohl beim Anhören auf Tonarten usw., sonst genieße ich gern im großen Zuge."

Frl. Moor: "Beim erstmaligen Hören eines Werkes würde mich das dauernd bewußte Erkennen von Tönen und Tonarten ablenken und zu sehr anstrengen und auch um den Genuß und das Erfassen bringen; allerdings besonders bei moderner Musik."

Frau Pos-Carloforti: "Manchmal, aber nur selten."

Frl. Runge: "Zuweilen ja, meistens stört es mich aber am musikalischen Erleben."

Frau Stein : "Manchmal stört es mich."

Frau Weiß-Mann : "Nicht bewußt, sondern von selbst, wie die Worte beim Lesen."

Die meisten der übrigen Vpn. beantworten die Frage kurz mit "nein".

Die zweite aufs engste damit zusammenhängende Frage: Erscheint Ihnen die fortlaufende Erkennung der Tonarten und Modulationen für das genußreiche Erleben eines musikalischen Kunstwerkes von ausschlaggebender Bedeutung? wird 17mal mit "nein", einmal mit "nein und ja", zweimal mit "ja" beantwortet.

Es läßt sich also sagen, daß zwischen einem Absoluthörer und einem Relativhörer im Hinblick auf das musikalische Erleben ein wesentlicher Unterschied nicht besteht. Die ästhetischen Wirkungen eines musikalischen Kunstwerkes sind eben nicht, oder doch nur zum geringsten Teile, an die absolute Tonhöhe geknüpft. Die Grundlagen dieser Wirkungen sind ganz anderer Natur. Letzten Endes sind sie ein Rätsel und werden es wohl für immer bleiben. Das Erkennen der Tonarten, Modulationen oder einzelner Töne bedeutet für den Absoluthörer eine Zugabe zum musikalischen Erlebnis. Es kann als eine Störung, und das wohl in den meisten Fällen, wenn es sich gar zu oft ungewollt ins Bewußtsein drängt, aber auch als eine Bereicherung des ästhetischen Erlebnisses empfunden werden, insbesondere dann, wenn bei mehr verstandesmäßiger Einstellung eine Einsicht in das Gefüge und den Bau des musikalischen Organismus angestrebt wird.

Es sei gestattet, an dieser Stelle kurz auf eine häufiger geäußerte Ansicht einzugehen.

Man begegnet nicht selten der Behauptung, das a. G. besäßen häufig Personen, die man keineswegs musikalisch nennen könne. A1tmann meint sogar: "Es gibt genug Leute mit a. G., die im übrigen stockunmusikalisch sind." (Nr. 2.) Ich glaube, daß man mit einigem Recht Zweifel an der Wahrheit dieses Satzes hegen kann. Stockunmusikalisch wird man einen Menschen, der mit Sicherheit Töne, Tonarten und damit auch alle Modulationen zu erkennen vermag, der also in der Lage ist, beim Anhören eines Musikwerkes alle auf diese Punkte gerichteten Fragen sich selber, ohne Benutzung von Stimmgabel und Noten, richtig zu beantworten, auch dann nicht nennen können, wenn ihm tatsächlich keine andere Seite der Musikalität mehr eignen sollte. Aber dieser Mangel aller übrigen Musikalitätskomponenten ist eben das Unwahrscheinliche. Gleich falsch wäre es, wenn man in der Gabe des a. G. Musikalität schlechthin erblicken wollte. Man wird annehmen dürfen, daß Hugo Riemann für die in seinem Musiklexikon geäußerte Meinung, daß sich das a. G. bei Menschen finde, die sich für höhere Musikkultur unzulänglich erweisen, aus der Erfahrung gewonnene Unterlagen besessen habe. Wie das a. G. selber mit recht bedeutenden graduellen Abstufungen vorkommt, so ist auch der Grad der Eignung für eine höhere Musikkultur bei den Besitzern dieser Fähigkeit ein recht verschiedener.

8. A. G. und Synopsien

Synoptische Erscheinungen, hervorgerufen durch musikalische Eindrücke, haben drei meiner Vpn. an sich beobachtet.

Herr Lindenberg gibt allgemein an, daß die Musik als Ganzes bei ihm Farberscheinungen hervorzurufen vermag.

Frau Maria Pos-Carloforti äußert sich folgendermaßen: "Ich empfinde manche Musikstücke oft als Begebenheit, habe häufig beim Singen bildhafte Eindrücke, so z. B. bei vielen Liedern von Brahms und Hugo Wolf. Diese Empfindungen sind sehr verschieden und lassen sich nur sehr schwer ausdrücken oder irgendwie generalisieren."

In diesen beiden Fällen sind feste Beziehungen zum a. G. nicht feststellbar.

Herr Nerong jedoch machte an sich die Beobachtung von Erscheinungen einer sogenannten audition coloree, bei der unlösliche Verknüpfungen zwischen bestimmten Tonarten und Farben bestehen, und zwar erscheint ihm G-Dur = weiß, D-Dur = gelb, Es-Dur = schwarz-rot, G-Dur rot, Ges-Dur und Es-Moll = schwarz, F-Moll = grün.

Frau Pos-Carloforti gibt an, daß manchmal der F-Dur-Akkord bei ihr die Farbenempfindung hellblau und E-Dur die von bräunlich-orange hervorrufe.

Ausdrücklich sei jedoch hervorgehoben, daß in keinem Falle diese Farbempfindungen eine Rolle bei der Ton- und Tonarterkennung spielen. Sie sind durchaus sekundärer Natur und treten später ins Bewußtsein als die betreffenden Tonnamen. Die Möglichkeit einer Tonerkennung auf Grund von sehr fein differenzierten Farberscheinungen soll zwar nicht bestritten werden, doch erscheint es mir ohne speziell hierauf gerichtete, exakte Untersuchungen voreilig, einen besonderen Typ des a. G., den synoptischen, zu statuieren (vgl. Nr. 26).

9. Zur Frage der Bedeutung des a. G. für die Gesamtpersönlichkeit

Diese Frage gehört sowohl zu den wichtigsten, die im Hinblick auf das a. G. gestellt werden können, als auch zu denen, deren erschöpfende Behandlung bedeutende Schwierigkeiten bietet. Setzt sie doch eine überaus eingehende Kenntnis eines großen Kreises von Vpn., ihrer Anlagen und Fähigkeiten, ihrer Neigungen und Abneigungen, ihrer Einstellungen zu den verschiedensten Gebieten des Lebens, kurz der Gesamtpersönlichkeit voraus. Der Erwerb dieser Kenntnis bedingt die Anknüpfung rein persönlicher Beziehungen zu den betreffenden Vpn., sowie einen sich über längere Zeit erstreckenden Umgang mit ihnen. Da ich fast sämtliche meiner Vpn. nur während der wenigen, mit Arbeit ausgefüllten Stunden, die die Gehörsuntersuchung beanspruchte, zu sprechen Gelegenheit hatte, mangelt es mir an der erforderlichen Kenntnis. Den Versuch, durch den Fragebogen der Lösung des Problems etwas näher zu kommen, muß ich als gescheitert betrachten. Es kann sich daher im folgenden nur um Vermutungen und Andeutungen handeln. Sie beruhen auf Beobachtungen und Anregungen, die ich Herrn Prof. Anschütz verdanke.

Das a. G. ist eine Veranlagung, die eine mehr analytische Einstellung der Musik gegenüber einschließt. Es liegt der Gedanke nahe, daß diese sich nicht nur auf das begrenzte Gebiet der Musik erstrecke, sondern ein wesentliches Charakteristikum der Gesamtpersönlichkeit des mit dem a. G. ausgezeichneten Menschen darstelle und dessen Beziehungen zu der gesamten Umwelt ursächlich beeinflusse. Es würde das bedeuten, daß der Anlage des a. G. eine Geistesstruktur und psychische Gesamthaltung zugrunde läge, deren auffälligste Eigentümlichkeit in einer mehr aufs Einzelne, Glied- und Stückhafte gerichteten Erfassung der Ding- und Geisteswelt bestände, oder m. a. W., daß man in dem Besitzer des a. G. nicht nur den Vertreter eines sich deutlich abhebenden musikalischen Typus, sondern eines besonders analytisch eingestellten Menschentypus schlechthin zu erblicken habe. Ob und wie weit diese Ansicht zutrifft, wäre durch umfassende Untersuchungen zu erweisen.

Eine andere wichtige, hierher gehörige Frage jedoch, nämlich: Wo liegt das Zentrum der Gesamtpersönlichkeit eines mit dem a. G. ausgestatteten Menschen? oder um mit Spranger (Eduard Spranger, Lebensformen. Halle.) zu reden: Welcher der sechs Lebensformen gehören diese Personen in ihrer großen Mehrheit an? läßt sich bereits mit ziemlicher Sicherheit beantworten. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß wir es hier mit einem Menschentypus zu tun haben, dessen Totalstruktur eindeutig nach der künstlerischen Seite hin zentriert ist, der also-- nach Spranger-- unter die Lebensform des "ästhetischen Menschen" fällt. Man wird weiter fragen, welches Gebiet der Kunst ist es denn, auf das sich das gesamte Erleben dieser Personen richtet? Die Frage stellen, heißt in diesem Falle sie bereits beantworten. Die Gabe des a. G. wird von dem, der sie besitzt,-- ob früher oder später, ist einerlei- als ein seltenes Naturgeschenk, als eine Bereicherung der Persönlichkeit empfunden. Eine außergewöhnliche Befähigung und Begabung aber pflegt Hand in Hand mit einer ganz besonderen Lust und Liebe zu dem Gebiete zu gehen, auf dem sie liegt. Im Hinblick hierauf geben denn auch meine sämtlichen Vpn. in völliger Übereinstimmung an, daß es die Musik ist, die-- mögen sich einzelne von ihnen auch noch zu dieser oder jener Kunst hingezogen fühlen-- im Zentrum ihres künstlerischen Erlebens steht.

Anhang I

Zusammenstellung der bisher erschienenen Literatur

1. Abraham, O., Das absolute Tonbewußtsein. Psychol. musik. Studie. Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft, Jahrg. III, Heft 1, S. 1-86. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1901.

2.Altmann, G., Das absolute Gehör. Eine Replik(auf einen Artikel von O. Urbach). Neue Musikzeitung, Jahrgang XXIX, Nr. 20.

3. Anschütz, G., Farbe-Ton-Forschungen, I. Bd. Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft, 1927 (über a. G., S. 56ff.).

4. Auerbach, F., Das absolute Tonbewußtsein. Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft. Jahrg. VIII, S. 105-112.

5. Auerbach, F., Tonkunst und bildende Kunst. Jena, G. Fischer, 1924 (über a. G., S. 34).

6. Boggs, L. P., Studies in Absolute Pitch. American Journal of Psychology. Vol. XVIII, Nr. 1, p. 194-205.

7. Haecker, V., u. Ziehen, Th., Über Erblichkeit der musikalischen Begabung. Zsch. f. Psychol., Bd. 90, 1922. (Über Erblichkeit des absoluten Tongedächtnisses, S. 237-247.)

8. Hein, H., Untersuchungen über die Gesetzmäßigkeiten der Zuordnung von Farben und Tönen. Arch. f. d. ges. Psychol., Bd. 56, Heft 1/2, 1926. (Einige Bemerkungen über a. G., S. 160.)

9. Jadassohn, S., Das Tonbewußtsein. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1899. (Über abs. u. relat. Tongedächtnis, Kap. I, S. 1-5.)

10. Katz, D., Bericht über den 6. Kongreß für exp. Psychologie. Leipzig 1914. (Berichtet auf S. 86-87 über Versuche an Volksschülern zum Erwerb d. a. G.)

11. Kobelt, J., Das Dauergedächtnis für absolute Tonhöhen. Arch. f. Musikwissenschaft. Bückeburg und Leipzig 1920. S. 144-174.

12. v. Kries, J., Über das absolute Gehör. Zsch. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorgane. Jahrg. III (1892), S. 257-279.

13. v. Kries, J., Wer ist musikalisch? Berlin, Springer, 1926 (über a. G., S. 32 bis 36).

14. Liebscher, A., Zur Diskussion über das Thema "Absolutes Gehör". Neue Musikzeitung, Jahrg. XXIX, Nr. 23.

15. Meyer, M., Is the memory of absolute pitch capable of development by training? The Psychol. Review, Vol. VI, 1899, p. 514-516.

16. Müller, Fr., Bemerkungen über das absolute Tongehör. Neue Musikzeitung, Jahrg. XXX, Nr. 3.

17. Naubert, Fr., Das absolute Tonbewußtsein. Der Klavierlehrer. 1898, Nr. 9, S. 117-118 u. Nr. 10, S. 129-131.

18. Plank, M., Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft, Jahrg. IX. (Über a. G., S. 428.)

19. Révész, G., Über die beiden Arten des absoluten Gehörs. Ztschr. d. Internationalen Musikgesellsch., Jahrg. XIV (1913), Heft. 5, S. 130-137.

20. Révész, G., Zur Grundlegung der Tonpsychologie. Leipzig 1913. (Über a. G., S. 90-101.)

21. Riemann, H., Tonhöhenbewußtsein und Intervallsinn. Ztschr. d. Internationalen Musikgesellschaft, Jahrg. XIII (1912), Heft 8, S. 269-272.

22. Riemann, L., Das absolute Gehör. Neue Musikzeitung, Jahrg. XXIX, Nr. 24.

23. Stumpf, C, Tonpsychologie I u. II. Leipzig, Hirzel 1883 u. 1890. (Über a. G. Bd. I, S. 139, 218 ff., 286 ff., 305 ff.; Bd. II, S. 369 u. 553ff.)

24. Urbach, O., Das absolute Gehör. Neue Musikzeitung, Jahrg. XXIX Nr. 20. (Dieser Aufsatz gab die Veranlassung zu einer Artikelserie über das a. G. in derselben Zeitschrift.)

25. Wallaschek, R., Das musikalische Gedächtnis. Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft, Jahrg. VIII (1892) (über a. G. S. 242).

26. Wellek, A., Drei Typen des absoluten Gehörs. Monatsblätter des Anbruchs (1927), Nr. 10.

27. Wellek, A., Das a. G. und der Charakter der Töne und Tonarten. Zeitschrift für Musik. Leipzig. Bd. 94 (Mai 1927), S. 267 ff.

28. Whipple , G. M., Studies in Pitch Discrimination. American Journal of Psychology (1903), Vol. XIV, p. 553-560. Nachtrag

29. Hein, H., Über die Möglichkeit eines allgemeinen latenten absoluten Tonbewußtseins. Zsch. f. Musikwissenschaft 1929. S. 414-419.

Anhang II

Fehlerkurven

Fehlerkurve Chromat. Folge

Quintenfolge

 

Frl. Resi Beyer


Fig. 4a


Fig. 4b

Herr Arthur Burmeister


Fig. 5a

Fig. 5b

Frl. Mieze Flügge


Fig. 6a

Fig. 6b

Herr Hugo Hampf


Fig. 7a

Fig. 7b

Frl. Irmgard Hansen


Fig. 8a

Fig. 8b

Herr Franz Härtung


Fig. 9a

Fig. 9b

Herr Hans Kagel


Fig. 10a

Fig. 10b

Frl. Margot Keller


Fig. 11a

Fig. 11b

Frl. Lotte Knaack


Fig. 12a

Fig. 12b

Frau Anne Krey


Fig. 13a

Fig. 13b

Herr Otto Lindenberg


Fig. 14a

Fig. 14b

Herr Richard Möller


Fig. 15a

Fig. 15b

Frl. Alice Moor


Fig. 16a

Fig. 16b

Rainer Mulzer


Fig. 17a

Fig. 17b

Herr Theodor Mumm


Fig. 18a

Fig. 18b

Herr Ocke Nerong


Fig. 19a

Fig. 19b

Frau Maria Pos-Carloforti


Fig. 20a

Fig. 20b

Frl. Annemarie Runge


Fig. 21a

Fig. 21b

Herr Robert Sager


Fig. 22a

Fig. 22b

Frl. Gretchen Stein


Fig. 23a

Fig. 23b

Frau Trudel Stein


Fig. 24a

Fig. 24b

Frau Edith Weiß-Mann


Fig. 25a

Fig. 25b

 

Anhang III

Fragebogen zur Erforschung des absoluten Gehörs

Vorbemerkung: Sollte der Raum für die Beantwortung einiger Fragen nicht ausreichen, wird höfl. gebeten, die Antwort auf einen besonderen Zettel mit Angabe der Fragenummern (z. B. IV b 3) zu geben

I. Personalien

1. Vor- und Zuname:

2. Wohnung:

3. Beruf:

4. Alter:

5. Können Sie Personen mit dem absoluten Gehör bezeichnen? Wenn ja, bitte um Angabe von Namen und Adresse!

II. Musikalische Bildung

1. Welches Instrument spielen Sie? Seit welchem Lebensjahre?

2. Haben Sie eine Gesangsausbildung genossen? Seit welchem Lebensjahr und wie lange?

3. Sind Ihnen die musiktheoretischen Grundlagen, insbesondere Harmonie- und Stimmführungslehre, vertraut?

III. Auftreten des a. G. (Für absolutes Gehör wird von hier ab nur a. G. gesetzt.)

1. Seit welchem Lebensjahre wissen Sie, daß Sie das a. G. besitzen?

2. Von wem ist es zuerst bemerkt worden?

3. Wann ist Ihnen bewußt geworden, daß Sie in dem a. G. eine recht selten auftretende Begabung besitzen?

4a. Führen Sie Ihr a. G. auf Vererbung zurück?

4b. Besitzen es auch Personen Ihrer näheren Verwandtschaft?

5a. Haben Sie das a. G. durch speziell auf dieses Ziel gerichtete Übungen erlangt, oder zeigte es sich als unbeabsichtigte Begleiterscheinung Ihrer musikalischen Betätigung?

5b. Haben Sie Ihr a. G. bewußt und mit Absicht ausgebildet und verfeinert? Wenn ja, nach welcher Methode verfuhren Sie dabei?

6. Halten Sie Gesangsausbildung für den Erwerb des a. G. für belangvoll?

7. Erscheint Ihnen die Ausbildung im Spiel eines Instrumentes für den Erwerb des a. G. als wichtig oder gar als notwendig?

8. Meinen Sie, daß sich Ihr a. G. aus einem ausgeprägten Sinn für Intervallauffassung gebildet hat?

9. Glauben Sie, daß Ihrem a. G. für einzelne Töne ein absolutes Tonartengedächtnis vorangegangen ist?

IV. Leistung des a. G.

a) Isolierte Töne

1. Bestimmen Sie aufeinander folgende Töne so, daß Sie sie in Intervallbeziehung zueinander setzen?

2. Spielen bei Ihnen gewisse Töne hinsichtlich Ihrer Erkennungsschwierigkeit eine bevorzugte Rolle? Wenn ja, welche?

3. Setzen Sie die für Sie schwieriger zu erkennenden Töne mit den leichteren in Intervallbeziehung?

4. Versuchen Sie den Ton, den Sie erkennen wollen, zuerst nachzusingen oder nachzupfeifen?

5. Taucht Ihnen bei einem gehörten Ton das Noten-, oder das Buchstaben-, oder das Tastenbild in der Vorstellung auf? oder können Sie sonst über den Weg, der zur Erkennung des Tones führt, irgendwelche Angaben machen? Vergleichen Sie etwa den gehörten Ton bewußt mit einem rein vorstellungsmäßig im Ohre erzeugten Tone?

6. Fällt es Ihnen leichter, einen gehörten Ton mit seinem Namen zu benennen oder einen mit seinem Namen bezeichneten Ton in seiner Tonhöhe durch Singen oder Pfeifen anzugeben? oder sind Ihnen beide Aufgaben von derselben Leichtigkeit?

7. Taucht Ihnen bei einem Ton, den Sie in seiner Tonhöhe durch Singen oder Pfeifen angeben sollen, zuerst dessen Noten-, oder Buchstaben-, oder Tastenbild in der Vorstellung auf, oder können Sie sonst etwas über den Weg, der vom gehörten Notennamen zum gesungenen oder gepfiffenen Ton führt, etwas Näheres aussagen? Versuchen Sie etwa den Ton zuerst vorstellungsmäßig im Ohre zu erzeugen?

8. Erleichtert Ihnen der Anblick des Noten-, oder Buchstaben-, oder Tastenbildes eines bestimmten Tones dessen richtiges Singen, oder Pfeifen, oder Vorstellen?

9. Erleichtert Ihnen die Vorstellung eines vertrauten Musikstückes oder Liedes die Auffindung eines gewünschten Tones?

10. Werden Sie beim Erkennen eines Tones durch längere oder kürzere Dauer seines Erklingens oder durch seine größere oder geringere Stärke unterstützt oder gestört?

11. Erkennen Sie ganz hohe und ganz tiefe Töne mit derselben Sicherheit wie solche in der Mittellage? Wenn nicht, wo etwa liegen die Grenzen Ihres a. G.?

12. Haben Sie Hemmungen zu überwinden, wenn Sie einen bestimmten Ton auf einen ihm nicht zugehörigen Namen singen sollen?

b) Tonarten, Harmonien, Akkorde

1. Erkennen Sie die Tonart eines Musikstückes leichter als isoliert erklingende Töne?

2. Erkennen Sie konsonante und dissonante Klänge, etwa Dreiklänge, Septimen-und Nonenakkorde, erst durch Herausheben jedes einzelnen Tones oder sofort an ihrem spezifischen Intervallcharakter?

3. Genießen bestimmte harmonische Klänge hinsichtlich ihrer Erkennungsschwierigkeit eine Vorzugsstellung? Wenn ja, welche?

4. Können Sie zu einer vorgelegten Melodie sogleich die passenden Harmonien bilden?

c) Tonähnliche Geräusche

1. Bereitet Ihnen die Bestimmung des Haupttones bei tonähnlichen Geräuschen, z. B. beim Heulen des Sturmes, Knarren einer Tür, Murmeln eines Baches, Schwierigkeiten?

d) Oktavlage

1. Erkennen Sie die Oktavlage eines Tones (z. B. ob 2, 3 oder 4 gestrichenes a)?

2. Stellen Sie, um die Oktavlage zu erkennen, eine gesonderte Überlegung an?

3. Suchen Sie zuerst über den Namen eines Tones und dann über dessen Oktavlage Gewißheit zu erlangen oder umgekehrt?

4. Auf welche Oktave führen Sie einen Ton, dessen Oktavlage Sie nicht sofort erkennen, zurück?

5. Sind Sie der Ansicht, daß die Bestimmung der Oktavlage eines Tones leicht durch Übung zu erkennen ist?

e) Klangfarbe

1. Ist es Ihnen für die Erkennung eines Tones völlig gleichgültig, auf welchem Instrument er erzeugt wird? Wenn nicht, welches Instrument spielt bei Ihnen in dieser Hinsicht eine bevorzugte Rolle?

2. Stellen Sie sich einen Ton, dessen Tonhöhe Sie angeben sollen, in einer bestimmten Klangfarbe, etwa als Gesangs-, oder Geigen-, oder Klavierton, vor?

f) Qualität, Charakter, Ähnlichkeitsgrad

1. Hat jeder der 12 Töne der Skala für Sie einen ausgesprochenen Charakter (z. B. g = langweilig, h = strahlend)? Wenn ja, welchen?

2. Erkennen Sie einen Ton ausschließlich an seiner Tonhöhe, seiner Helligkeit, oder etwa mehr an seinem spezifischen Charaktsr, seiner Qualität? oder trennen Sie beides nicht voneinander?

3. Hat ein und derselbe Ton in den verschiedenen Oktavlagen immer noch einen ähnlichen, verwandten, oder einen wesentlich anderen, fremden Charakter? und welchen?

4. Scheinen Ihnen bis zu einer Sekunde auseinanderliegende Töne einen stärkeren Ähnlichkeitsgrad zu besitzen als solche, die einen größeren Intervallschritt auseinanderliegen? (z. B. scheint Ihnen dis dem d ähnlicher als gis dem d, oder scheint Ihnen dis dem d ebensowenig ähnlich wie gis dem d?)

5. Besitzen die verschiedenen Dur- und Moll-Tonarten für Sie verschiedene Qualitäten? Wenn ja, welche?

6. Besitzen für Sie manche Töne oder Tongruppen (etwa ganz hohe oder ganz tiefe) den Charakter von unbestimmten Tastempfindungen?

g) Transposition

1. Macht Ihnen das Singen eines Ihnen in einer bestimmten Tonart, etwa der Originaltonart, vertrauten, aber in eine andere Tonart transponierten Liedes Schwierigkeiten?

2. Verleitet Sie die Transposition, wenn Sie die Noten eines Liedes in einer anderen Tonart vor Augen haben, zu einer fehlerhaften Wiedergabe?

3. Welches Gefühl haben Sie beim Anhören eines transponierten Musikstückes, das Ihnen in einer anderen Tonart vertraut ist?

h) Tonzwischenstufen

1. Merken Sie es, wenn ein Instrument oder ein Orchester um den Bruchteil eines halben Tones tiefer oder höher steht, als es die Normalstimmung (a = 435 Doppelschwingungen) verlangt? Wenn ja, welches Gefühl wird dadurch erzeugt?

2. Liegt Ihr gedächtnismäßig festgehaltenes a etwas höher oder tiefer als das a der 435 Doppelschwingungen?

3. Welches Gefühl haben Sie bei solchen Tönen, die deutlich zwischen den Tönen unseres sich um a mit 435 Doppelschwingungen herum gruppierenden Tonsystems liegen, für die es also einen bestimmten Namen nicht gibt?

i) Leistungsschwankungen

1. Ist die Leistung Ihres a. G. etwa bei Witterungs- oder seelischem Stimmungswechsel merklichen Schwankungen ausgesetzt?

2. Haben Sie in den Schwankungen eine Regelmäßigkeit oder Periodizität beobachtet? (z. B. hinsichtlich der Tages- oder Jahreszeit?)

3. Irren Sie sich manchmal im Erkennen eines Tones um eine Oktave, eine Quinte, einen halben Ton oder sonst um ein bestimmtes Intervall?

4. Welche Ursache können Sie für die Täuschung in Ihrem Urteil anführen?

5. Haben Sie beobachtet, daß sich bei der sehr genauen Bestimmung der Tonhöhe ein und desselben Tones Differenzen im Urteil ergeben, wenn Sie diesen Ton nacheinander mit jedem Ohr allein zu erfassen suchen?

6. Sind Sie der Meinung, daß sich Ihr a. G. bezüglich seiner Feinheit und Sicherheit mit zunehmendem Alter verschärft oder abstumpft?

7. Haben Sie irgendeine Beeinflussung Ihres a. G. durch die moderne atonale oder Jazzmusik beobachtet?

k) Willensbeeinflussung

1. Sind Sie mit Willensanstrengung imstande, Ihr a. G. für kürzere oder längere Zeit um etwa 1/2 Ton oder gar noch mehr herauf- oder herunterzustimmen?

l) Musikalisches Gedächtnis

1. Verbindet sich Ihr a. G. mit einem besonders guten musikalischen Gedächtnis?

2. Äußert sich Ihr musikalisches Gedächtnis mehr im Festhalten von Melodien, oder Harmonien, oder Rhythmen?

V. Musikalische Produktivität

1. Sind Sie kompositorisch tätig?

2. Sind Sie imstande, auf dem Ihnen vertrauten Instrument zu phantasieren und improvisieren?

3. Ist Ihnen das Komponieren oder Phantasieren ein zwangsläufiges Bedürfnis und eine stark lustbetonte Betätigung?

4. Scheint Ihnen Ihr a. G. irgendein Anreiz oder eine Hemmung für Ihre etwaige musikalisch-produktive Betätigung zu sein?

5. Sind Sie der Ansicht, daß das a. G. bei Komponisten gewisse stilistische oder sonstige Eigentümlichkeiten in ihren Kompositionen bedingt oder begründet? Wenn ja, können Sie dafür Beispiele anführen?

VI. Musikalisches Erleben

1. Steht Ihnen die Musik im Zentrum Ihres künstlerischen Erlebens?

2. Sind Sie der Meinung, daß Ihr a. G. Ihr musikalisches Erleben vertieft oder gar behindert?

3. Verfolgen Sie eine Musikdarbietung so, daß Sie sich über alle auftretenden Tonarten und Modulationen bewußt Klarheit verschaffen?

4. Erscheint Ihnen die fortlaufende Erkennung der Tonarten und Modulationen für das genußreiche Erleben eines musikalischen Kunstwerkes von ausschlaggebender Bedeutung?

5. Ist Ihnen die Bestimmung von Tönen und Tonarten bereits zum Zwang geworden?

6. Bevorzugen Sie absolute Musik (etwa Bachs Fugen) oder Programmmusik (etwa Beethovens Pastoralsymphonie)?

7. Welches sind Ihre Lieblingskomponisten? Warum?

8. Welcher musikalische Stil liegt Ihrem Gefühl am nächsten (Romantik, Klassik, Impressionismus etc.)?

9. Welches sind Ihre Lieblingstonarten und Lieblingsakkorde? Warum?

10. Welches ist Ihr Lieblingsinstrument?

11. Lieben Sie mehr heitere oder mehr ernste Stücke?

12. Bevorzugen Sie im allgemeinen mehr Dur oder Moll?

13. Erleben Sie Musik mehr Verstandes- oder mehr gefühlsmäßig?

14. Ist Ihr Erleben tiefer beim Anhören oder beim Selbstausüben von Musik oder in Erinnerung daran?

15. Wie stellen Sie sich zur "atonalen" Musik?

16. Glauben Sie, daß Ihr a. G. Ihre Sensibilität, insbesondere akustischen Reizen gegenüber, erhöht?

17. Haben Sie die Empfindung, daß gewisse Töne oder Klänge an einer bestimmten Stelle des Körpers, etwa des Kopfes oder der Brust, lokalisiert sind?

VII. Bewertung des a. G.

1. Wie beurteilen Sie selbst Ihr a. G. hinsichtlich seiner Bedeutung?

2. Bei welchen Gelegenheiten ist es Ihnen als besonderer Vorzug erschienen?

3. Bei welchen Gelegenheiten haben Sie es als lästig empfunden?

VIII. Allgemeine Veranlagung und Einstellung

1. Spielen bei Ihnen in den Erscheinungen der Außenwelt die akustischen oder die optischen Reize eine größere Rolle?

2. Haben Sie auch auf anderen als musikalischen Gebieten, ev. auf welchen, ein besonders gutes Gedächtnis?

3. Ist Ihnen der Klang des Sprechorganes eines Menschen für Ihre Sympathie oder Antipathie diesem gegenüber von Bedeutung? Meinen Sie, daß Ihr a. G. dabei eine Rolle spielt? Können Sie Beispiele angeben?

4. Welche Künste bevorzugen Sie neben der Musik?

IX. Sonstiges

1. Haben Sie bei musikalischen oder anderen akustischen Eindrücken irgendwelche Licht- oder Farberscheinungen? Wenn ja, bitte darüber nähere Angaben!

2. Haben Sie an sich oder anderen Menschen, die das a. G. besitzen, irgendwelche Beobachtungen, sei es auf musikalischem oder anderem Gebiete, gemacht, die Sie in Beziehung zum a. G. setzen oder doch zu setzen geneigt sind?